Samstag, 2. Oktober 2010

Der Staat liebt uns doch alle

fürsorgliche Transparenz durch Nebelbänke

"Wir haben", so Frau von der Leyen mit sichtlichem Stolz, "das Internet in den Regelsatz mit einberechnet".
Wer von den unwürdigen Sozialschwächlingen hätte ein solch großzügiges Geschenk erwartet. Klar doch, dass die dafür nun gerne auf ihren ohnehin gesundheitsschädlichen täglichen Schnaps-, Bier- und Zigarettenkonsum verzichten. Statt ständig besoffen auf der Couch liegen zu müssen, dürfen sie nun endlich von zu Hause aus ihre Jobchancen durch das Surfen auf den Job-Center-Seiten ergreifen - auch wenn deren Stellenangebote wenigstens ebenso alt und real sind, wie das Erhebungsjahr 2008 der Berechnungsgrundlage für die neuen Regelsätze.

Aber was solls angesichts dieses unbändigen fürsorglichen Denkens unserer regierenden Volksverterter. Die Mütter der Nation - die Physikerin und die kinderreiche Nanny-Chefin - ein Ausbund an Menschlichkeit und Liebe selbst gegenüber dem sozialschmarotzerischen Bodensatz, der mit Hartz IV schon vor Jahren vor die Türen unserer Gesellschaft gefegt worden ist.

Je weniger Leistung, desto bessere Jobchancen

Trotz der durch Tränen der Rührung getrübten Augen macht jedoch irgendwie der Betrag von um die zweieinhalb Euro monatlich für dieses selbstlose Geschenk unserer leistungsträchtigen Muttergottheiten stutzig. Wenn diese Hausnummer irgendeinen Sinn machen soll, dann kann dies ja nur durch einen Geheimvertrag mit den Internetprovidern bewerkstelligt werden. Der müsste vorsehen, dass die Zugangsgebühren zum Internet für Sozialschwächlinge von derzeit rund 30 auf eben diese wissenschaftlich-statistisch ermittelten 2,5 Euro reduziert werden. Beispiele für Geheimverträge zugunsten Notleidender gibt es ja bereits.
In diesem Fall gibt es aber aus guten, transparenten Gründen keinen Geheimvertrag. Stattdessen eine weitere Offenbarung staatlich fürsorglichen Denkens. Da sich innerhalb der arbeitenden statistischen Vergleichsgruppe, an Hand derer die alten wie die neuen Sätze ermittelt worden sind, auch nicht jeder einen Internetzugang leistet, steht das dem arbeitscheuen Gesindel natürlich auch nicht in voller Breite zu. Da muss man eben zusammenrücken. Wenn sich beispielsweise zwölf alimentierte Sozialschwächlinge einen Internetanschluss teilen, würden sich allein dadurch auch wieder so etwas wie soziale Kontakte entwickeln. Integration in die Gesellschaft - auch ein Ghetto ist schließlich eine Gesellschaft. Soziale Kompetenz würde durch die Notwendigkeit, sich untereinander zu verständigen und abzusprechen entwickeln - eine extreme Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Je niedriger der Regelsatz desto größer Freiheit und Frieden

Gerade an diesem Beispiel wird doch deutlich, wie ernst es unseren nationalen Übermüttern mit dem Prinzip Fordern und Fördern ist. Und diese ständige Kritik und Nörgelei haben sie nun wirklich nicht verdient. Zumal sich die Frage der sogenannten Kosten für Nachrichtenübermittlung (Telefon, Internet) in Wirklichkeit ja gar nicht stellt. Schließlich müßten sich selbst bei 1:1- Übernahme der Vergleichsgruppenzahlen in die Regelsätze bereits rund 200 Hartzer zusammentun, um sich ein - wie es im Amtsdeutsch heißt - Datenverarbeitungsgerät und Software einschließlich Downloads anzuschaffen. Da hierbei die Frage der Nutzung eines Gerätes durch 200 Haushalte kaum zivilisiert zu regeln ist, darf dringend von einer solchen Anschaffung abgeraten werden. Ist ja auch kein Zwang, gerade die Hartzer haben ja durch die Großzügigkeit der wegen wichtigerer Dinge unter extremem Sparzwang leidenen Regierung, völlige Freiheit in der Verwendung der sozialen Geschenke. Sie müssen halt nur nicht so oft in Urlaub fahren, Saufen, Rauchen und Fressen - wie es ungebildetes Pack nun einmal tut. Sie hätten stattdessen ja schon längst auf einen Computer oder sogar ein Auto sparen können. Hartzer, Ihr müsst Euch immer vor Augen führen, dass die Leistungsträger dieser Gesellschaft, jene Menschen, die Euch alimentieren, für Löhne unter Existenzminimum hart arbeiten lassen. Ein wenig Dankbarkeit wäre da schon angebracht.
Und ein paar Euro des von den guten Hartz IVlern hart erarbeiteten Geldes müssen ja auch noch für die bescheidenen Transferleistungen an die politische Klasse übrigbleiben, sonst könnte diese ja nicht so großzügige Alimentierungen des gesellschaftlichen Krills beschließen.

Mit leistungsstarken Fürsorgegrüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt

Freitag, 1. Oktober 2010

Vom Sozialstaat zum Sozialschwachmaten

Eine Gesellschaft steht Kopf

Die Diskussion um die Höhe der Hartz IV-Sätze scheint bereits wieder vorbei. Die seit vielen Jahren von der Politik ins Felde geführte sprachliche Manipulation hat inzwischen volle Wirkung gezeigt. Ein großer Teil der arbeitenden Bevölkerung ist sich einig: die sozial schwachen - weil nicht arbeitenden Hartz VI- Empfänger -haben nicht mehr verdient. Vor allem auch deshalb, weil viele derer, die arbeiten, auch nicht mehr verdienen beziehungsweise erhalten.

Und tatsächlich ist es für eine Gesellschaft völlig inakzeptabel, wenn Menschen, die hart arbeiten, sozial Schwache alimentieren. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob die sozial Schwachen selbst arbeiten oder nicht. Sozial Schwache sollten grundsätzlich keine Transferleistungen erhalten, sei es in Form von Hartz IV oder in Form von Diäten oder Boni. Wer sich gesellschaftlicher Verantwortung, praktizierter gesellschaftlicher Solidarität entzieht, bedroht ganz konkret die Existenz einer Gesellschaft. Wer sich die von der arbeitenden Bevölkerung aufgebrachten Steuergelder in selbstsüchtiger und gewissenloser Manier aneignet, ist sozial Schwach und steht schlichtweg außerhalb der Gesellschaft. Jene sozial Schwachen dürfen weder die Alimentierung durch die Steuerzahler - zu denen übrigens alle Bürger, von den Reichsten bis zu den Ärmsten in unserem Lande gehören - noch die Legitimation durch das Wahlvolk beanspruchen.

Politische Einfalt in der gesellschaftlichen Vielfalt

Aber bekommen die Hartz IV-Empfänger nicht deshalb Arbeitslosengeld II, weil sie - wie immer behauptet wird - sozial schwach sind?
Mitnichten: Hartz IV-Empfänger erhalten nicht deshalb Leistungen, weil sie sozial schwach, also asozial sind, sondern zunächst einmal, weil sie arm sind. Weil sie unabhängig davon, ob sie arbeiten oder nicht, so wenig Geld haben, dass sie in unserer Gesellschaft nicht ohne solidarische Unterstützung existieren können. Die Gründe hierfür sind sehr unterschiedlich. Das reicht von unverschuldeten Schicksalsschlägen über mangelnde Bildung, Bildungschancen, Bildungsbereitschaft oder Bildungsfähigkeit, Dumpinglöhnen, bis hin zu strukturellen Veränderungen, die zu bewältigen Einzelne objektiv überfordert sind. Nicht zuletzt gibt es auch jene Menschen, die aufgrund mentaler Dispositionen schlichtweg asozial sind und sich Transferleistungen eben nicht nur in Form von Hartz IV aneignen. Das bedeutet übrigens nicht, dass diese Menschen dumm oder faul sind, sie sind einfach nur asozial und leben auf Kosten der Gesellschaft.

Hartz IV: Erziehung statt Hilfe

Betrachtet man die öffentliche Diskussion genau, so konzentriert sich die gesamte Argumentation und übrigens auch das Gesetz und seine Ausgestaltung auf Hartz IV-Sozialschmarotzer. Milliarden werden in das System gepumpt, um mit kleinbürgerlich-protestantisch- moralinsäuerlicher Verbissenheit jene in die Gesellschaft zurückzuverpflichten, die diesbezüglich den größten Widerstand leisten. Klar, dass vor diesem Hintergrund für jene Hartz IV-Empfänger, die nicht diesem Sozialschmarotzerkonzept entsprechen, kaum noch geeignete Mittel und Instrumente zur Verfügung stehen, um trotz aller Bereitschaft, trotz aller Qualifikation, trotz aller persönlicher Fähigkeiten zur Eigeninitiative und zur Leistung, wieder in Arbeit und Gesellschaft zurückzukehren. Denn eines ist klar: Hartz IV-Leistungen schließen bewußt gesellschaftliche und politische Teilhabe und Mobilität, also die Voraussetzung für die eigeninitiative und qualifizierte Reintegration aus. Die sogenannte Förderung schließt ebenfalls echte Qualifizierungsmaßnahmen aus und ist überwiegend auf sogenannte Mobilisierung arbeitsunfähiger oder -unwilliger ausgerichtet.

Die sozial schwache Politik

Im Grunde ist es völlig egal, wie hoch die so furchtbar gerne diskutierten Anteile der einzelnen Gruppen der Hartz IV-Empfänger sind. Das Problem besteht eben darin, dass, wie es unsere Bundesphysikerin so naturwissenschaftlich-technokratisch treffend ausgedrückt hat, mit den Hartz IV-Sätzen eine angemessene Sachentscheidung gefällt worden ist. Dem kann man nur zustimmen, weil es gleichzeitig bedeutet, dass die Entscheidungen, die unabhängig von der Leistungshöhe eigentlich anstehen, immer noch nicht in Angriff genommen worden sind: die Entwicklung differenzierter menschen- und betroffenengerechter Förderinstrumente. Denn es geht eben nicht um eine statistisch- technische Sachentscheidung, sondern um Gesellschaftskonzepte. Vielleicht sollten da einige der Politiker und Diskutanten, die sich selbstgerecht als Leitungsträger empfinden hier mal einen Bildungsgutschein bei der Arbeitsministerin einlösen und sich von kompetenter Seite erklären lassen, was eine menschliche Gesellschaft eigentlich ausmacht.
Appropos Leistungsträger. Was außer hohes Einkommen (woher auch immer) verbirgt sich denn hinter diesem wohlfeilen Begriff?

Mit leistungsgerechten Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt