Dienstag, 15. März 2011

Mentale Kernschmelze in Deutschland

Laufzeitverlängerung für Gaddafi-Regime

Es ist eine der größten Naturkatastrophen mit Tausenden von Opfern, die Japan derzeit erleiden muss. Aber mit Erdbeben und Tsunamis haben die Japaner seit Jahrtausenden zu leben gelernt. Die Ruhe, Gelassenheit und Disziplin der Kinder Nippons ist nur aus dem Blickwinkel der restlichen Welt unverständlich. Die Katastrophe, die dem Land mit hunderttausenden oder millionen Opfern nun droht, hat mit Erdbeben und Tsunami nur bedingt und ganz sicher nicht ursächlich etwas zu tun. Sie ist Folge einer weltweiten mentalen Kernschmelze, die mit der Entwicklung der Atombombe begonnen hatte.

Die Vorstellung von der Beherrschbarkeit der Kernenergie hatte im Kalten Krieg zur nahezu grenzenlosen atomaren Aufrüstung geführt, obwohl jeder wusste, dass das nukleare Potenzial auch nur einer einzigen Atommacht ausreichte - und übrigens immer noch ausreicht - um auf einen Schlag die ganze Welt zu vernichten. Auch die Tatsache, dass die Aktivierung des Weltuntergangs durchaus im Rahmen einer "normalen" Naturkatastrophe, durch menschliches Versagen, durch technische Defekte etc. geschehen kann, ist bei allen Beteiligten hinlänglich bekannt.

Vorstellungsunvermögen oder "nicht bewußt getäuscht"?

Auch die Frage, welche Gefahren durch ein außer Kontolle geratenes Atomkraftwerk drohen und welche Faktoren dazu führen können, musste man sich weder aus Anlass der vergangenen Kraftwerksunfälle neu stellen, noch muss man sie angesichts der Katastrophe in Japan wieder aufwärmen. Das ist alles seit einem halben Jahrhundert bekannt, es gibt in dieser Frage faktisch keine neue Situation, wie die Bundesphysikkanzlerin nun weismachen möchte. Die vernichtende Kraft der Kernenergie in Verbindung mit Machtstreben und Profitgier scheint aber zuallererst die Gehirne der politischen Eliten geschädigt zu haben. Wie anders könnte es sein, dass beispielsweise unsere oberste Bundesphysikerin nun angesichts der Ereignisse in Japan eine (erstmalige???) Risikobewertung unter dem Aspekt der Sicherheit im Rahmen eines dreimonatigen Moratoriums vornehmen will, um daraus Schlüsse für die weitere Energiepolitik zu ziehen. Die für eine Physikerin hochinteressante Begründung: "Man hatte sich das nicht vorstellen können".

Kontrollverlust

Vielleicht sollte man dem bislang offensichtlich lobbyistisch beeinflussten Vorstellungsvermögen der Bundesphysikerin und ihrer politischen Gefolgschaft ein wenig auf die Sprünge helfen. Der physikalische Mechanismus einer Kettenreaktion zur Gewinnung von Kernenergie ist identisch mit dem physikalischen Mechanismus der Kettenreaktion einer Atombombe. Ein aktives Kernkraftwerk ist nichts anderes, als eine gezündete Atombombe, deren "Explosion" durch einen gewaltigen technischen Aufwand versucht wird, kontrolliert zu verlangsamen. Wer sich die Bilder von Hisroshima und Nagasaki vor Augen führt, sollte eigentlich kein Problem damit haben, sich die Folgen vorzustellen, die mit einem - aus welchen Gründen auch immer zustandegekommenen - Kontrollverlust verbunden sein können. Bei mir jedenfalls hat es - obwohl nicht Physiker sondern lediglich abgebrochener Chemie-Ingenieur mit kernphysikalischem Grundkurs - keine drei Monate gebraucht, um eine entsprechende Vorstellung zu entwickeln.

Schlagzeilen von Morgen

Aber meine Phantasie ist ohnehin eine wenig ausgeprägter als bei den politischen Eliten. Und so wage ich an dieser Stelle ein paar schlagzeilenartige Vorhersagen, die zwar teilweise relativ unwahrscheinlich, angesichts der vermuteten mentalen Kernschmelze unserer talentiertesten Volksvertreter aber in ganz verschiedenen Szenarien durchaus vorstellbar sind:

- die Bundesregierung beschließt den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie - die Energiepreise steigen wie im Vorfeld angedroht. Gleichzeitig wird die Laufzeitverlängerung des Gaddafi-Regimes durch unterlassene Hilfeleistung für sein massakriertes Volk beschlossen, um die Energieversorgung nach Wegfall der Kernenergie zu sichern. Die Wiederaufbauleistung für das Gaddafiregime lässt die Energiepreise weiter steigen. Oder

- die Bundesregierung beschließt den schrittweisen Ausstieg nach geltender Gesetzeslage - die Energiepreise steigen wie zu erwarten war. Aus prinzipiellen Erwägungen wird auch in diesem Fall die Laufzeit des Gaddafi-Regimes verlängert. Begründung der Bundeskanzlerin: "ich kann mir nicht vorstellen, dass der wirklich so böse ist." Oder

- die Bundesregierung beschließt irgendetwas anderes - die Energiepreise steigen wie immer, Gaddafi bekommt wie alle anderen Diktatoren- und Verbrecherregime erst mal Laufzeitverlängerung.

- die Bundesregierung beschließt zur Abwehr terroristischer Bedrohungen, die atomare Aufrüstung. Aus Sicherheitsgründen werden die Atomwaffen erfahrenen privaten Atomkraftwerksbetreibern überlassen. Über Einsatz und Sicherheitsfragen schließt die Bundesregierung einen Vertrag mit den Konzernen. Die Verteidigungskosten können nach den Vorgaben des ehemaligen hochtalentierten Verteidigungsministers nun reduziert werden, die Energiepreise steigen. Oder

- In einer Regierungserklärung versichert die Kanzlerin, dass die Kernkraftwerke und die Atombomben in den Händen der erfahrenen Energiekonzerne so sicher sind wie E10. Etwas anderes könne sie sich nicht vorstellen. Zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit dieser Aussagen und zur persönlichen Betreuung der Mitarbeiter in den vaterländisch energieproduzierenden Atombomben, holt Merkel zu Guttenberg als Energieminister zurück - die Energiepreise steigen. Oder

- es bleibt alles beim Alten. Durch Verträge mit der Erdbeben- und Tsunamiindustrie wird die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke auf freiwilliger Basis gewährleistet - die Energiepreise steigen.

Egal welches Szenario eintreffen wird, eines ist durch die geradezu artistischen Argumentationsversuche der Bundeskanzlerin in Zusammenhang mit der japanischen Tragödie mehr als deutlich geworden: die Atomenergie ist weder ein technisches, noch ein wirtschaftliches noch ein energetisches noch ein Problem von Naturkatastrophen - sie war und ist von Beginn an eine Frage politischer Entscheidungen. Ach ja, und die Energiepreise werden in jedem Fall steigen.

Mit unvorstellbaren Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt

Mittwoch, 9. März 2011

Biosprit nach E10-Gipfel überraschend zurückgetreten

Die Bild-Zeitung hatte gar nicht erst versucht, ihn zu retten

Nach einer beispiellosen Hetzjagd auf das hochtalentierte Superbiobenzin, hat Ezehn nun schweren Herzens seinen Rücktritt von den Zapfsäulen erklärt. In einer bewegenden Rede, zu der die Presse zwar nicht geladen, aber auch nicht gekommen war, erklärte Ezehn:

"Ich habe in einem sehr freundschaftlichen Gespräch den Umweltminister informiert, dass ich mich von all meinen Zapfsäulen zurückziehen werde und um meine Entlassung aus dem politischen Umweltdienst gebeten.
Ich gehe diesen Schritt nicht allein wegen meiner so fehlerhaften Wirkungsweise – wiewohl ich verstehe, dass dies für große Teile der Autofahrer und Umweltschützer ein Anlass wäre.
Der Grund liegt im Besonderen in der Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen, die die Politik an meine Umweltfreundlichkeit anlegt, noch nachkommen kann.

Wenn allerdings - wie in den letzten Wochen geschehen - die öffentliche und mediale Betrachtung fast ausschließlich auf das Ezehn und seine mögliche Motor- und Umweltschädlichkeit statt beispielsweise auf die Nöte der Politik, der Auto- und Kraftstoffindustrie abzielt, so findet eine dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit zu Lasten derer statt, für deren Wohlergehen ich eingeführt wurde.
Wenn es auf dem Rücken der Zapfsäulen nur noch um meine Person gehen soll, kann ich dies nicht mehr verantworten.

Ich habe, wie jeder andere Treibstoff auch, zu meinen Schwächen und Fehlern zu stehen. Zu großen und kleinen im Umweltbereich bis hin zum gelegentlichen Motor und Dichtungenfraß. Und mir war immer wichtig, die breite Öffentlichkeit damit nicht zu beunruhigen.

Manche mögen sich fragen, weshalb ich erst heute zurücktrete.
Zunächst ein möglicherweise für manche unbefriedigender, aber allzu alkoholischer Grund. Wohl kein Treibstoff wird leicht, geschweige denn leichtfertig die chemische Reaktion aufgeben wollen, für die er geschaffen wurde. Eine Reaktion, die eine wesentliche Grundlage für viele Vorstände, Shareholder und Politiker und deren Wohlstand beinhaltet.
Hinzu kommt der Umstand, dass ich mir für eine Entscheidung dieser Tragweite - jenseits der hohen medialen und oppositionellen Taktfrequenz - die gebotene Zeit zu nehmen hatte. Zumal Vorgänge in Rede stehen, die Jahre vor meiner Zapfsäulenübernahme lagen.

Ich danke besonders der Frau Bundeskanzlerin und ihren Ministern für alle erfahrene Unterstützung, ihr großes Vertrauen und Verständnis."

Die ersten Reaktionen

Der Umweltminister erklärte in Zusammenhang mit den vergangenen Angriffen auf Ezehn: "Ich habe schließlich kein motorfreundliches Hochleistungsöl oder ein Autopflegeshampoo oder sonst irgendwas für die Zapfsäulen verpflichtet, sondern unter dem Umweltfähnchen ein Schmiermittel für die Wirtschaft. Und diesen Job macht Ezehn sehr gut."

Der Wirtschaftsminister ergänzte: "Für einen so talentierten Treibstoff wie Ezehn, stehen natürlich jederzeit sämtliche Tankstellenfüllstutzen offen."

Für die SPD und die Grünen ist die Sache noch längst nicht ausgestanden. Sie erwarten nun zahlreiche Anzeigen wegen Motorschädigung und Umweltbetrug, denen sich Ezehn nun stellen muss.

Und während die Ezehn-Gegner die Rücktrittsrede als heuschlerisch und arrogant bezeichnen und die fehlende Einsicht in die wirtschaftskriminelle Energie der Ezehn-Affaire bemängeln, halten die Ezehn-Befürworter die Begründung für den Rückzug aus den Tanksäulen für ehrenhaft und einen Beweis für die Leistungsfähigkeit und das Talent des sogenannten Biosprits.
Erste Ezehn-Fanseiten wurden inzwischen von auf facebook eingerichtet, mit unerwartetem Zulauf.

Mit beispiellosen Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt

Hinweis: Die Formulierungen der Ezehn-Rücktrittsrede sind der öffentlichen Rüchtrittsrede des K.T. zu Guttenberg entlehnt.

Samstag, 5. März 2011

Das Prinzip der E10- Politik - Durchhalten bis zum Letzten Tropfen

Deutschland und die Politik der schnellen (Fehl) Schüsse

Auch ich gehöre zu den uneinsichtigen Autofahrern, die einfach nicht das supertolle E10-Benzin tanken wollen. Dabei ist es doch mindestens 2 Cent pro Liter billiger, als das böse Superbenzin. Was könnte ich da sparen. Selbst wenn also der statistisch zu 93 Prozent unwahrscheinliche Fall eintreten und sich der Motor meines Autos verabschieden sollte, – zerfressen vom umweltfreundlichen Äthanol aus dem zu diesem Zweck entregenwaldeten Brasilien - dass bisschen Risiko sollte uns allen doch die Umwelt wert sein.

Nicht zu vergessen, bei der unglaublichen Ersparnis von etwa 2 Cent pro Liter, müsste man für einen neuen Motor etc. doch lediglich 75.000 Liter E10 (bei den derzeitigen Preisen lächerliche 112.000 €) in sein Auto pumpen und schon hätte man den neuen Motor wieder raus und bei kleineren Autos vielleicht noch einen netten Urlaub dazu. Und man bedenke, mit dieser Spritmenge könnte man selbst bei dem zwangsläufig höheren Verbrauch des im Vergleich leistungsschwächeren E10, rund 18 mal am Äquator entlang die Welt umrunden. Die Passage der ehemaligen Regenwälder dürfte dabei ganz sicher kein Problem darstellen. Völlig unverständlich eigentlich, dass sich die sturen und statistikresistenten deutschen Autofahrer diese einmalige Spar- und Reisemöglichkeit einfach entgehen lassen, wo es doch immerhin eine 7%ige Chance gibt, zusätzlich auch noch den Hauptgewinn - einen neuen Motor - zu ziehen.

Die offensive der geballten Lobbyistenkompetenz

Warum also werde ich das schlechte Gefühl in dieser Angelegenheit nicht los, obwohl es doch noch viele andere gute Argumente für E10 gibt. Da wäre die Tatsache, dass die unzähligen VW-Käfer, die in Brasilien gebaut und gefahren werden, diesen Sprit seit Jahren problemlos vertragen, warum nicht auch mein knapp 20 Jahre alter Nissan, der in Spanien hergestellt worden ist. Schließlich sprechen die in Brasilien ja portugiesisch, also die gleiche Sprache wie die spanischen Nachbarn auf der iberischen Halbinsel. Wer da keine Zusammenhänge erkennt muss ja wohl ein bisschen doof sein.
Aber glücklicherweise setzen sich am kommenden Dienstag endlich einmal alle politischen Talente aus Wirtschaftsministerium, Mineralölwirtschaft, Automobilclubs und Verbraucherschützern, Tankstellen-Betreiber und Autoindustrie zusammen, um gemeinsam zu überlegen, wie man den renitenten Autofahrer vom Tanken des ökologisch und monetär am Ende sehr viel teureren E10 überzeugen kann.
Danach werden dem Bürger am Bildschirm wieder einmal die vertrauensbildenden augenliderklappernden Versicherungen der einschlägigen politischen Fachleute und Wirtschaftslobbyisten im Rahmen von ungemein aufklärerischen Talkshows präsentiert werden. Und mit der den politisch Handelnden immanenten Glaubwürdigkeit wird dabei versucht werden, den einmal beschlossenen und wie üblich nicht zuende gedachten Fehler bis zum letzten Tropfen zu verteidigen und als politisch hochtalentierte Großtat zu verkaufen.

Einfache Frage zum Akzeptanzproblem: wer trägt das Risiko

Dabei wäre die Lösung des Problems doch ganz einfach. Ein gesetzlich festgelegter Schadenersatzanspruch. Und das, auch ohne dass der Geschädigte nachweisen muss, welches namentlich zu nennende Ethanolmolekül von welcher Tankstelle welches Aluminium- oder Dichtungsteil konkret wann und mit welcher bösartigen Motivation aufgefressen hat. Einfach ausgedrückt: wenn die Politiker konkret für die Schäden haften würden, die sie dem Bürger so bedenkenlos zu verursachen bereit sind, wäre ihre Glaubwürdigkeit wieder gesichert. Der außerordentlich angenehme Nebeneffekt wäre dabei, dass die Flut der „Risiko-auf-den-Bürger-Abwälz-Gesetze“ erheblich eingedämmt würde. Sowohl durch die Minimierung gesellschaftlicher Schäden als auch der politischen Propagandaausgaben würden erhebliche Mittel im Haushalt und bei den Bürgern frei, die beispielsweise der Bildung und anderen bisher sträflich vernachlässigten wichtigen gesellschaftlichen Bereichen zugeführt werden könnten – von der Haushaltskosolidierung ganz zu schweigen.

Mit risikofreundlichen Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt

Freitag, 4. März 2011

Alles Banane oder was? - Die Worthülsenrepublik

Zum Gehalt politischer Rhetorik

Wenn wir unseren Guttenberg nicht gehabt hätten, wären so manche interessante Fragen möglicherweise gar nicht so deutlich aufgetaucht, wie es derzeit der Fall ist. Und auch die Tatsache, dass es inzwischen zur politischen Kultur geworden scheint, gar nicht erst zu versuchen, bestimmte Fragen zu beantworten, wird immer offensichtlicher. Und um hier jedem Missverständnis vorzubeugen: das hier wird kein weiterer Guttenberg-Kommentar, auch wenn das Beispiel des Freiherrn gerade in diesem Zusammenhang nicht immer ganz zu vermeiden ist.

Beginnen wir mit dem faszinierenden Begriff „politisches Talent“. In jeder Diskussionsrunde wird dem ehemaligen Verteidigungsminister von allen Seiten ein ungewöhnliches politisches Talent nachgesagt. Was darunter zu verstehen ist, formuliert dabei niemand. Und so darf der von diesem Attribut tief beeindruckte Bürger versuchen, selbst die Substanz dieses Begriffes zu erfassen.
Da wäre zunächst einmal Charakterstärke und Moral. Nach Feststellung der Bundeskanzlerin und bei unvoreingenommener Betrachtung des Ablaufs der Affäre, ganz ohne Zweifel kein Kriterium für politisches Talent. Solche wissenschaftlichen Attitüden – so die machtorientierte Regierungsposition - muss man natürlich von einer politischen Bewertung trennen.
Man mag mich korrigieren, aber fachliche Kompetenz (in welchem Bereich auch immer) oder reale ministeriale Leistungen sind bislang ebenfalls nicht als Begründung für das besondere politische Talent des Herrn zu Guttenberg angeführt worden. Im Gegenteil, als Politiker habe er einen akademischen Titel (der normalerweise für fachliche Kompetenz steht) nicht nötig. Als Leistungsnachweis – beispielweise bei der Militärreform – reicht bereits eine Absichtserklärung.

Das Talent des fehlerhaften Menschseins

Auf der Habenseite stehen – zumindest nach Erklärung der politischen Talentscouts – menschliche Fehler, gutes Benehmen, gute Optik, Zielstrebigkeit, Affinität zur und Gespür für Macht, das Propagieren von Ehrlichkeit (über den Grad der faktischen Ehrlichkeit darf man dann hinwegsehen) und nicht zuletzt die charismatische Wirkung auf einen großen Teil der Bevölkerung. Fachliche Kompetenz, konstruktive Sacharbeit für die Gesellschaft, Wahrnehmung gesellschaftlicher Realitäten treten hinter der öffentlichkeitswirksamen Selbstdarstellung und dem Produzieren von Worthülsen in den Hintergrund. Das gesellschaftliche Problem bei diesem sehr reduzierten Verständnis von politischem Talent ist, dass die anscheinend wesentlichen Eigenschaften, die bei genauerer Betrachtung übrig bleiben, in ganz besonderem Maße auf jene Politiker zutreffen, die sich beispielweise seit Jahrzenten als oft charismatische Alleinherrscher in gewissen Ländern gehalten haben.

Wie wär’s mit Demokratie- und Verfassungsbewusstsein als Maßstab für Talent

Es wäre daher schön, wenn der Begriff „politisches Talent“ primär wenigstens mit einer besonderen Affinität zur Demokratie und ganz bewusst mit Verzicht auf dumpfen Populismus verbunden wäre. Allein die immer noch währenden medialen Diskussionen und öffentlichen Sorgen um die Zukunft des armen, bei „menschlichen Fehlern“ ertappten ex-Ministers lassen mich vor dem Hintergrund des politischen und gesellschaftlichen Umgangs mit Millionen tatsächlich perspektivloser Hartz IV Empfänger und Aufstocker schaudern. Das hat nichts mit Sozialneid zu tun, dieser Begriff taugt in diesem Zusammenhang als beliebtes Totschlagargument nicht. Denn langsam sollte sowohl das Volk als auch die Politik sich wieder daran erinnern, dass es – zumindest nach unserer offensichtlich bei Vielen inzwischen belanglosen Verfassung - die Aufgabe der zur Zeit noch frei gewählten Politiker ist, für das Wohl der Bürger zu arbeiten und nicht umgekehrt. Letztendlich ist in einer freien Gesellschaft jener Mensch ein besonderes politisches Talent, dem es gelingt, den ihm durch die Verfassung aufgegebenen Job tatsächlich zu erfüllen. Allein die zahlreichen Verfassungsgerichtsurteile zeigen, dass solche politischen Talente inzwischen sehr rar geworden sind.

Mit besonders talentierten Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt

Dienstag, 1. März 2011

Zu Guttenberg zwischen Mythos und Märtyrer

Der heldenhafte ex-Minister und das Opfer seines Herzblutes

Zu spät meinen Viele, ist der Politiker zu Guttenberg nicht nur vom Amt des Verteidigungsministers zurückgetreten. Und nun, so die Meinung vieler seiner Getreuen, müsse Schluss mit der Diskussion um das arme Opfer medialer Verfolgung sein, als das er sich, seiner Rede nach zu urteilen, auch selbst sieht.

Selbst in seiner Rücktrittsrede kommt zu Guttenberg nicht ohne große verbale Gesten aus. So erteilt er, einem Messias gleich, seinen Gegnern beinahe die Absolution. Jenen, die ihn nach heldenhaftem Kampf nun doch zur Strecke gebracht und ihm damit sein Lieblingsspielzeug - das in seinem Herzensblut geradezu ertränkte Militär - abgerungen haben. Ganz auf sich und sein Sendungsbewusstsein fokussiert, macht sich der bislang unwidersprochen als Betrüger charakterisierte Mensch zu Guttenberg zwischen den Zeilen zum Märtyrer, ohne auch nur ansatzweise Einsicht in das der von ihm zu verantwortenden Affäre zugrundeliegende Problem zu zeigen.

Guttenberg ist „weg“, die Affäre noch längst nicht.

Wer immer die Angelegenheit nach dem viel zu späten Rücktritt des Politikers für erledigt hält, nimmt die Person zu Guttenberg viel zu wichtig und wird sicherlich zukünftig dazu beitragen, aus einem möglicherweise schlichten Betrüger einen mythisch verklärten Helden zu machen. Dabei stellen sich unabhängig von aber am Beispiel des zu Guttenberg eine Reihe gesellschaftlich außerordentlich wichtiger Fragen, die, nachdem der Zugriff der guttenbergschen Heerscharen auf Nebelbomben nun erschwert ist, endlich beantwortet werden müssen.
So ist es für die Einschätzung unseres demokratischen Status sehr wichtig, herauszufinden, wie viel kriminelle Energie beispielsweise aufzuwenden ist, um die wissenschaftlichen (aber auch die anderen demokratischen) Kontrollstrukturen außer Kraft zu setzen. Es muss ebenfalls herausgefunden werden, wie viel kriminelle Energie bei der politischen Mittäterschaft zur Strafvereitelung in einer Demokratie erforderlich ist.

Guttenberg ist kein menschliches, sondern ein demokratisches Problem

Vor allem aber gilt es zu lernen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Wie kommt es, dass offensichtlich in weiten Kreisen der Bevölkerung ebenfalls nur noch wenig Unrechtsbewusstsein vorhanden ist. Wie kommt es, dass das öffentliche Bekenntnis zu „Schummeleien“ (Abschreiben, kleiner Versicherungsbetrug, ein bisschen geistiger Diebstahl hier, eine kleine Lüge da, ein wenig Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit etc.) schon zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Zweifellos gibt die Politik für solche „Verfehlungen“ genügend Beispiele. Dies aber lediglich auf die menschliche Ebene zu schieben, bedeutet, die Demokratie nicht ernst zu nehmen.

Politische Legitimation auf dem Prüfstand

Wir haben auf der einen Seite einen massiven politischen und moralischen Einfluss einer Zeitung, die sich an die Zielgruppe der sogenannten „bildungsfernen Schichten“ wendet. Wir haben mit rund 7,5 Millionen Menschen eine erschreckend hohe Zahl von An- und Halbalphabeten. Wir haben inzwischen eine Wahlbeteiligung, aus der sich nur noch unter größter Interpretationsfreiheit eine politische Legitimation für wen auch immer ableiten lässt. Wir haben eine Politik, für die Macht und Wirtschaft vor Moral, Gesellschaft und Menschen geht. Wir haben eine handfeste demokratische Krise, die sich zu verkörpern, Herr zu Guttenberg geradezu aufgedrängt hat, vor deren Hintergrund und Ausmaß er als Person jedoch so unwichtig wie nur irgendetwas ist.

Das Zeitalter der segmentierten Gesellschaften

Der Rücktritt des Freiherrn ist dabei noch längst kein Sieg der Demokratie, wie so oft behauptet, wohl aber ein Ergebnis neuer zukunftsträchtiger technologisch-gesellschaftlicher Strukturen, die allein deshalb von demokratischen Gesellschaftsstrukturen noch weit entfernt sind, weil aus ganz unterschiedlichen, aber auch politisch zu verantwortenden Gründen, nur relativ wenig Menschen in unserer Gesellschaft faktisch daran teilhaben können. Die social networks des Internets sind dabei ein inzwischen sehr mächtiger Teil, aber eben nur ein Teil unserer in hohem Grade segmentierten Gesellschaft in der inzwischen auch die politische Klasse nur noch ein Segment darstellt. Dass dies nicht nur für Deutschland gilt, zeigt sich an den aktuellen weltweiten Ereignissen. Diese sozialen web- Netzwerke haben ein gewaltiges Demokratiepotential. Zum Instrument der Demokratie werden sie aber erst, wenn die bildungspolitischen und materiellen Voraussetzungen zur selbstbestimmten Internetteilhabe für Jedermann gelegt werden.

Mit demokratisch hoffnungsvollen Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt