Montag, 28. September 2009

Der Wille der Wähler

Wahlbeteiligung und Demokratie

Nun haben wir den Salat: Da produziert die Politik aufwändige Werbekampagnen (wer hat die eigentlich bezahlt?) und versucht unter Einbeziehung von Prominenten aus Sport und Show, die inzwischen offensichtlich die eigentliche politische Klasse verkörpern, die Wähler an die Urne zu bringen und dann das: Eine Wahlbeteiligung auf historischem Tiefstand und die in diesem Zusammenhang als Schreckgespenst angeführten Braunen sind trotzdem ohne Bedutung geblieben. Zweifellos ein Sieg der Demokratie. Nicht unbedingt der Demokratie der herrschenden Parteien, sondern des Demokratieverständnisses der Bevölkerung -ganz offensichtlich zwei verschiedene Dinge.

Der statistische Wählerwille hinsichtlich der Regierungsparteien war diesmal eindeutig und nur schwer umzuinterpretieren. Glücklicherweise, denn welche Politikkonstellationen sich in der Vergangeheit in Bund und Land auf den Wählerwillen berufen haben, war schon mehr als abenteuerlich und letztendlich nicht gerade Ausdruck eines ernsthaften Demokratieverständnisses der politischen Akteure. Nun aber ist das Ergebnis klar: die Wähler wollen tendenziell immer weniger das, wofür CDU/CSU und SPD, die drei deutlichen Wahlverlierer, stehen. Und immerhin rund ein Viertel der Wahlbevölkerung, die Partei der Nichtwähler, wollen dieses rein Partei- und Machtpolitisch orientierte Demokratieverständnis gar nicht mehr.
Und erschreckend zudem: Man darf sicher sein, dass die Prominentenkampagne tatsächlich mehr Wähler an die Urnen gezogen hat, schließlich ist über diese Kampagnen ein großer sozialer Druck auf jene ausgeübt worden, die ihr demokratisches Recht in Anspruch nehmen wollten, auszudrücken, dass sie sich eben nicht mehr von dieser Gesellschaft und ihren Kandidaten vertreten fühlen, dass es in userem Land ein paar Millionen Menschen gibt, die ganz faktisch und im täglichen Leben von der politischen Teilhabe und aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind, egal, welche Parteienkonstellation die Regierung übernimmt und nahezu egal, welche Gesetze diese dann auf den Weg bringt. Den tatsächlichen Legitimationsverlust der Politik ohne die Kampagne kann man nur erahnen.

Vielleicht folgender Rat an Parteien und Politiker: politische Legitimation muss man sich nun einmal ganz praktisch verdienen und zwar bei allen, von denen man diese Legitimation erhalten möchte. Sprüche und Slogans sind zwar gut geeignet in den Medien und der virtuellen Welt, viele Menschen dieses Landes leben aber noch immer in der materiellen Realität, auch beispielsweise von Hartz IV, dem einzigen Teil des sozialen Netzes, das für die Betroffenen Menschen -gesetzlich festgelegt- ausdrücklich ausschließlich Daseinsvorsorge leistet und damit die politische und gesellschaftliche Teilhabe mangels entsprechender Mittel faktisch ausschließt.
Übrigens ist das der Teil des sozialen Netzes, auf das ausgerechnet der SPD- Kandidat Steinmeier so stolz ist und der es im Wahlkampf in geradezu menschenverachtender Weise mit dem Argument verteidigt hat, dass ansonsten die Probleme der Finanzkrise nicht mit den entsprechenden Milliarden hätten bewältigt werden können. Steinmeier hat sich im Laufe des Wahlkampfes irgendwie zum idealtypischen konservativen deutschen Politikervertreter gemausert und das Wahlvolk hat das gewürdigt. Gut, dass Steinmeier, ebenso wie die anderen Politiker gar nicht auf das Wahlvolk angewiesen ist. Nach dem jämmerlichen Versagen seiner Partei mit ihm als Spitzenkandidaten, übernimmt er nun die politische Verantwortung. Rücktritt? Nein, natürlich nicht, Rücktrit ist eine andere Art von politischer Verantwortung. Steimeier ist auch in dieser Hinsicht intellektuell ebenso kreativ, wie bei Hartz IV. Er übernimmt die politische Verantwortung für das klägliche Versagen, indem er einfach nicht aus derselben flieht, sondern sich nun gleich zum Oppositionsfüher und damit zum potenziellen nächsten Kanzlerkandidaten erklärt.
Ein Politikwechsel oder gar Demokratie ist vor diesem Hintergrund etwas ganz anderes als die Beseitigung der grossen Koalition.

Freitag, 26. Juni 2009

Wahlkampf der Aliens

Der Kanzlerkandidat vom anderen Stern

Wenn Herr Steinmeier, seines Zeichens Kanzlerkandidat der SPD, sich über die Gründe des schlechten Abschneidens seiner Person und seiner Partei in der Bevölkerung auslässt, dann vergisst er dass es für „Fremde“ schon immer schwierig war, in unserem Land Fuß zu fassen. Und wenn er dann bei seinen öffentlichen Auftritten noch deutlich macht, dass er nicht einmal Ausländer ist, sondern von einem anderen Stern kommt, braucht er sich über mangelnde Akzeptanz nicht zu wundern.
Als Kind, so wird er nicht müde, zu betonen, kam er aus ärmlichen Verhältnissen. Und deshalb, so behauptet er, kenne er die Probleme der heutigen Hartz IVler. Vater hat hart gearbeitet, Mutter hat hart gearbeitet, Sohn hat studiert und Karriere in der politischen Welt des öffentlichen Dienstes gemacht. Konsequenterweise hat er auch vor allem Öffentliches Recht und dann auch Politikwissenschaften studiert, wohl um selbst auch etwas von der realen Welt mitzubekommen, über die er und seine Kollegen so selbstgerecht mit der Agenda 2010 verfügen.

Hauptsache Arbeit
Sein Motto und Prinzip: Hauptsache Arbeit. Und mit diesem Wahlspruch geht der Mann vom anderen Stern beim Wahlvolk hausieren, verweist stolz auf die Erfolge bei der Senkung der Arbeitslosenzahlen durch die Agenda 2010, ohne zu begreifen, dass für die Menschen dieses Planeten und dieser Zeit, Arbeit (glücklicherweise) kein Selbstzweck ist. Es geht um Arbeit, die den Menschen Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht (das ist das, was sich hinter dem Begriff Leben verbirgt), Arbeit, die den Menschen und ihren Kindern eben jene Perspektiven eröffnet, die beispielsweise Herr Steinmeier durch die Arbeit seiner Eltern genossen hat. Genau diese Art von Arbeit und damit die Chance auf Lebensperspektiven von Millionen von Menschen hat die Agenda 2010 mehr und mehr zerstört und durch Millionen wirtschaftlich und gesellschaftlich perspektivloser Billig- Mini- Teilzeitjobs ersetzt. Es hätte durchaus intelligentere, menschenorientiertere Konzepte gegeben, aber natürlich nicht auf der Basis konservativen öffentlichen Rechts.
Arbeit um der Arbeit Willen, vielleicht, damit die Menschen nicht auf dumme Gedanken kommen? Arbeitsdienst ick hör Dir Trapsen.

Kein Geld für Strukturwandel (was ist das wohl?)

Nein, man darf Herrn Steinmeier die Absicht der Installierung eines Arbeitsdienstes nicht unterstellen, unabhängig davon, ob es in der Verwaltungswirklichkeit darauf hinausläuft, schließlich ist er ja tatsächlich Sozialdemokrat durch und durch. Deshalb ja auch das geradezu zwanghafte Festhalten an der Industrie, egal, ob zukunftsträchtig oder subventionsbedürftig, denn die Industrie ist die Mutter der Sozialdemokratie. Für das Konservieren überholter Industriestrukturen hat die Agenda 2010 die Voraussetzungen geschaffen. Als guter Sozialdemokrat wusste Steinmeier ja um die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus und die bei den „Hartz IVlern“ eingesparten Mittel können nun in die privilegierten Opel-Arbeitsplätze und natürlich in das nicht funktionierende Bankensystem investiert werden. Für alle anderen gibt es ja noch Hartz IV.
Arbeit als Selbstzweck: vielleicht könnte sich Herr Steinmeier ja auf eine Zeitreise begeben und als Berater für die Antiken Staaten verdingen. Mit der Ideologie, dass Arbeit besser sei, als nicht Arbeit, auch wenn man von seiner Arbeit nicht leben kann oder sogar daran zugrunde geht, hätte er vielleicht, untermauert durch unqualifizierte Statistiken, die Sklaven überzeugen können.

Mit arbeitsamen Grüßen vom Planeten Erde

Ihr

Wolfgang Schwerdt

Montag, 8. Juni 2009

Die beispiellose Offensive des Werra-Meißner-Kreises


oder wie sich Nordhessen selbst feiern

Unter der Überschrift „Jetzt tut sich richtig was!“ feiert der nordhessische ExtraTip eine offensichtlich teure bundesweite Plakataktion, die die Menschen aus Deutschland dazu bewegen sollen, in den aussterbenden Werra-Meißner-Kreis zu ziehen. Und der Redaktionsleiter setzt in seinem Kommentar „Schluss mit höflicher Bescheidenheit“ noch einen drauf. Den Menschen, so das unglaublich kreative Konzept der Kampagne, soll gezeigt werden, dass es sich in einer Region wie dem Werra-Meißner-Kreis, also umgeben von wunderschöner Natur, mehr lohnt, zu leben, als in der stressigen und anonymen Großstadt.
Ja, dass Natur Lebensqualität bedeutet, das muss den Bundesbürgern unbedingt einmal gesagt werden, von allein kommt ja niemand darauf. Hier zeigt sich wieder einmal die geballte intellektuelle und kreative Kraft, die sich aus dem ewigen Zusammenspiel von Provinzpolitikern, Provinzblättchen, Provinzverbänden aus Wirtschaft und Tourismus und Provinzgeldinstituten generieren lässt.
Qualifizierte Arbeitsplätze in der Region –Fehlanzeige. Zusammenarbeit der Gemeinden und Kommunen im Interesse der Bürger – Fehlanzeige. Qualifizierte, professionelle regional koordinierte Tourismus- Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit mit überregionaler Ausrichtung – Fehlanzeige. Qualifizierte Arbeitsmarktprojekte in der Region – Fehlanzeige. Und auch die Kreativität des gefeierten 50+ Programmes beschränkt sich im Wesentlichen auf bunt Bedrucktes.
Stattdessen als Marketing verkaufte Werbung –vor allem wohl für die wahlkämpfenden Provinzpolitiker- in die sich auch der neue Tourismusprospekt eingliedert, den sich die auswärtigen Deutschen über das Internet bestellen, oder in den hiesigen, gut versteckten und schlecht ausgestatteten Tourismusinformationen ja auch selbst abholen können. Auch dieser Prospekt natürlich großartig und im Wesentlichen von dem gleichen Personenkreis gefeiert, der sich selbstverständlich in gewissen Teilen auch über das von den Verantwortlichen ein wenig flapsig organisierte, aber mit tollen Werbeflyern ausgestattete Römerspektakel in Hedemünden darzustellen wusste.
Mit Werbung wird man die im Landkreis selbst produzierten und immer wieder reproduzierten Probleme sicher nicht lösen. Man kann aber versuchen, sie zu verheimlichen, wie das Beispiel des Römer-Events zeigt. So hat der Extra-Tip im Bericht über das hedemündener Spektakel am vergangenen Wochenende, zu dem auch der Nachbau des römischen Schiffes „Victoria“ herangekarrt worden war, mit einem getürktem Bild untermauert geschrieben, dass mehrere Ruderer gebraucht wurden, um das Schiff in Fahrt zu bringen. Abgesehen davon, dass auch diese Feststellung zeigt, welches intellektuelle Niveau den Lesern unterstellt wird (wäre ja sonst niemand darauf gekommen, dass man für den Antrieb eines Ruderschiffes Ruderer benötigt), konnte das Schiff tatsächlich gar nicht in Fahrt gebracht werden, die Wassertiefe an dieser Stelle reichte zum Manövrieren nicht aus. Aber die Werbung hatte ja versprochen, dass die Besucher mit dem Schiff auf der Werra ihre Runden drehen könnten und der Bericht hatte das natürlich bestätigen müssen.

Die "Victoria", fest vertäut "in Fahrt" gebracht. Foto Wolfgang Schwerdt


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Montag, 1. Juni 2009

Zu Guttenberg - der Herrmann der CSU

Eine Frage der Ehre

Hurra, Deutschland hat wieder einen Helden und dann auch noch einen Adligen. Tatsächlich scheint es heutzutage heldenhaft zu sein, bis zum Letzten –also der Androhung, persönliche Konsequenzen zu ziehen- auf etwas eigentlich Selbstverständliches hinzuweisen. Denn was ist denn wirklich geschehen?
Die Koalition, allen voran Frau Merkel hatte aus unverhohlenem politischem Machterhaltungsinteresse eine in jedem Fall milliardenschwere Opellösung zu Lasten der Steuerzahler ohne jede nachvollziehbare wirtschaftliche Grundlage durchgesetzt. Juristisch gesehen und in Fällen ohne politische Relevanz sicherlich als Beihilfe zur Insolvenzverschleppung zu bezeichnen.
Zu Guttenberg hat auf das hingewiesen, was gesetzlich eigentlich zwingend wäre: eine geordnete Insolvenz. Dieses Verfahren bedeutet nämlich eine echte wirtschaftliche Bestandsaufnahme einschließlich der Analyse der Zukunftsperspektiven und des tatsächlichen Finanzierungsbedarfs für eine Konsolidierung: Und vor allem wäre eine genaue Definition dessen, was Opel als Unternehmen eigentlich ist, notwendig geworden. Kurz und gut, ein Insolvenzverfahren dient letztendlich dazu, die Daten zu erheben, deren Kenntnis für eine Entscheidung, wie sie nun politisch gefallen ist, eigentlich zwingende Voraussetzung gewesen wäre.
Nun, die Regierung hatte sich für die politische Lösung entschieden, Bundeskanzlerin Merkel drückte das so aus „Für mich war entscheidend, auch bei dem, was ich beschlossen habe, dass die Risiken einer Alternative für mich politisch absolut nicht verantwortbar sind“. Im Klartext, es geht gar nicht um die langfristige wirtschaftliche Tragfähigkeit des Opel-Konzeptes, sondern um die Tatsache, dass eine wirtschaftliche Alternative für Frau Merkel politisch problematisch geworden wäre.
Was nun für einen echten Helden bliebe, wäre der Gang zum Gericht und eine Anzeige gegen Merkel & Co wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung, gegen alle an der „Lösung“ Beteiligten wegen Verschwörung zu kriminellen Handlungen und im Übrigen noch wegen Veruntreuung von Steuergeldern. Stattdessen macht der von der CSU gefeierte Held nun einfach selbst bei diesem Spiel mit. Vielleicht ist zu Guttenberg doch noch zu jung, um einen ordentlichen politischen Helden abzugeben.


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Montag, 25. Mai 2009

Die Verfassung der Physikerin

Demokratische Nachhilfe für den Bundespräsidenten

Irgendwie merkwürdig. Da ist Horst Köhler gerade in das höchste Amt im Staate wiedergewählt worden und schon wird der Repräsentat von Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland von der Bundeskanzlerin und den Vertretern von CSU, SPD und Grünen als politischer Schwachkopf qualifiziert. Anders ist die schroffe Ablehnung von Köhlers Vorschlag, den Bundespräsidenten zukünftig direkt wählen zu lassen, nicht zu verstehen.
Denn wenn der Bundespräsident nicht in der Lage ist, zu erkennen, dass die Direktwahl des Bundespräsidenten "die gesamte Statik des deutschen Staatsaufbaus massiv verändern würde" (Merkel), oder dass "das ganze Machtgefüge verschoben würde" (die Grünen), dann muss man doch wohl an der politischen Kompetenz des Bundespräsidenten zweifeln. Und nicht nur an seiner. Denn Köhler ist ja nicht der erste Präsident, dem das parteipolitische Machtgerangel um die Präsidentenkür so gar nicht staatstragend und amtswürdig erscheint. Richard von Weiszäcker und Johannes Rau hatten seinerzeit ebenfalls für eine Direktwahl plädiert.
Nun belehren Merkel & Co unsere höchsten Amtsinhaber, dass die Direktwahl des Bundespräsidenten zwangsläufig einen Machtzuwachs dieses Amtes zur Folge hätte, eine entsprechend notwendige Verfassungsänderung, so die parteipolitischen Demokratiespezialisten würde zu Veränderungen der Verhältnisse zwischen Bund und Ländern, Bundestag und Bundesrat und Kanzler und Präsidenten, letztendlich zu amerikanischen oder französischen Verhältnissen führen.
Vielleicht sind unsere Bundespräsidenten ja doch keine politischen Schwachköpfe sondern gewissenlose Machtmenschen, gar Revolutionäre - Verfassungsfeinde?? Dann müsste man allerdings eher am derzeitigen Wahlsystem als an einer Direktwahl zweifeln.
Mal ganz ehrlich, welchem Urteil kann man wohl in Fragen der Verfassung eher trauen. Dem eines Bundespräsidenten, dessen Aufgabe darin besteht, Staat, Volk und Verfassung zu repräsentieren und der wegen entsprechender Kompetenzen gewählt wurde (oder etwa nicht?) oder dem von Politikern, die in ihrer Amtszeit zahlreiche Gesetze zu verantworten haben, die nach höchstrichterlichen Entscheidungen nicht verfassungskonform sind und die sich grundsätzlich nicht vorstellen können, das Volk über irgendetwas entscheiden zu lassen.
Eines sei hier noch hinsichtlich der Verfassungsbedenken unserer Parteipolitiker angemerkt. Unsere Verfassung sieht eigentlich nicht vor, dass Parteien die Macht im Staate haben, sie sieht auch nicht vor, dass Parteien gewählt werden. Parteien dienen nach der Verfassung nur der politischen Meinungs- nicht der Regierungsbildung, Direktwahl hin, Direktwahl her.


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Sonntag, 17. Mai 2009

Parallelwelten - oder germanische Zustände

Deutschland heute - ein Land der tausend Welten

Da fordern die Milchbauern von der EU niedrigere Milchquoten, um den Milchpreis künstlich in die Höhe zu treiben, erwarten von den Verbrauchern, dass sie mit ihrem sauer erarbeitetem oder als Transferleistung in Form von ALG II erhaltenem Geld, über den Kauf teurer Milchprodukte die Existenz der Milchbauern als Milchbauern sicherstellen. Eine merkwürdige Welt, in der (nicht nur) die Milchbauern da gedanklich leben, so, als habe die industrielle Revolution hierzulande nie stattgefunden und als seien Zunftregeln noch immer die Grundlage unserer Verfassung.

Natürlich, vieles spricht für diese Weltsicht, es sei nur an die körperschaftlichen Organisationsformen im Gesundheitswesen und im Handwerk erinnert, die ebenso wie die Landwirtschaft eine besondere Stellung außerhalb unseres normalen gesellschaftlichen Systems innehaben. Und nicht zu vergessen, die Politik, die sich als politische Klasse ungeniert eigene Gesetze und Regeln hinsichtlich Kriminalität (in der Politik und den obersten Etagen der Wirtschaft ja lediglich Fehler) Moral, Verantwortung, Versorgung etc. beschließen und sich damit ebenfalls außerhalb unserer Gesellschaft stellt.
Und dann Opel. Unabhängig von der seit Jahrzehnten bekannten Tatsache, dass die Automobilindustrie nicht nur schrumpfen, sondern sich grundsätzlich umstrukturieren muß, dass Opel allein keinen Bestand haben kann, dass Opel als GM-Bestandteil sehenden Auges in die Pleite gesteuert ist, dass die vorgeblichen Interessenten an Opel ohne massive staatliche "Beihilfen" eben doch kein Interesse an Opel haben, wird hier ein Bild von der zwingenden Notwendigkeit des Existenzerhaltes des als erfolgreiche deutsche Traditionsmarke verkauften amerikanischen Teilunternehmens gezeichnet. Ja, in welcher Welt leben wir denn?
Ach ja, da gibt es noch die Welt der Normalbürger, die nach den bürgerlichen Gesetzen leben müssen, denen keine Privilegien eingeräumt werden, und deren gesellschaftliche Existenzgrundlagen in all den Parallelwelten, die von ihnen leben, entweder nicht verstanden werden oder einfach nicht von Interesse sind.
Das erinnert irgendwie an germanische Verhältnisse zur Zeit des Varus. Ein Sammelsurium an Gefolgschaftsverbänden, die mal gemeinsam, mal gegeneinander agieren und sich immer wieder erfolgreich der Errichtung einer gemeinsamen gesellschaftlichen Basis und der Auflösung korporativer Strukturen entziehen.


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Sonntag, 10. Mai 2009

Ärzte schreiben Geschichte

oder die Krise des Gesundheitswesens

Es ist kaum zu glauben, da gibt ein führender Ärztevertreter den Vorschlag zum besten, man solle doch die medizinischen Leistungen für Kassenpatienten rationieren, erklärt, es gebe zu wenig Geld von den Kassen für eine qualifizierte medizinische Versorgung und verblüfft mit der Aussage, wir hätten inzwischen eine zwei- Klassen- Medizin.
Oh nein, wenn Sie denken, diese Aussagen seien unglaublich, so haben Sie sich geirrt. Es ist unglaublich, dass diese Vorstellungen immer noch eine Nachricht, nein sogar noch immer ein Rauschen im Medienwald wert sind.
Mit einer Ausnahme kann man diese Aussagen von immer wieder neuen Ärztevertretern von Kammern und Kassenärztlichen Vereinigungen und von Ärzteverbänden verschiedenster Fachrichtungen gebetsmühlenartig nahezu unverändert seit nunmehr wenigstens 25 Jahren hören, lesen - nein, eigentlich kann man das alles nicht mehr hören.
Es sind nicht nur die Aussagen, mit Ausnahme einer, die seit 25 Jahren gleich geblieben sind. Es sind auch die quasi selbstversorgerischen Strukturen des Gesundheitswesens, die Qualitätsmängel der medizinischen Versorgung, die ständigen Ausgabensteigerungen, die falschen Diagnosen und überflüssigen Leistungen, die sich nach den abrechenbaren EBM-Ziffern richten, die argumentativen Nebelbänke und eher ungeschickt ausgewählten, aber kritiklos von den Medien übernommenen Statistiken und Einkommensbeispiele und es ist noch vieles andere mehr, das sich bis heute nicht wirklich verändert hat.
Ärzteschaft, Krankenkassen, Industrie und Politik sind sich nämlich seit mehr als 25 Jahren trotz aller öffentlichen Schaukämpfe in einer Sache einig: bloß nichts an den für die professionell Beteiligten bewährten Strukturen verändern, koste es Steuerzahler und Versicherte, was es wolle.
Ach ja, was ist wohl die Ausnahme, was ist das, was bis vor kurzem (also bis vor wenigen Jahren) noch keiner der Leistungserbringer zugegeben hatte, die Betroffenen aber ebenfalls bereits seit Jahrzehnten wissen? Natürlich, die reale Existenz einer zwei- Klassen- Medizin - eigentlich auch schon längst keine Meldung mehr wert.

Mit innovationsheischenden Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt

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Samstag, 9. Mai 2009

Archäologie und die Öffentlichkeit

Die Inflation der Sensationen

Da ist sie schon wieder, die archäologische Sensation. Da wurde wieder einmal eine Figur, ein Figürchen eher, gefunden. Alt ist sie, uralt, wahrscheinlich die bislang älteste gefundene Frauendarstellung - eine Sensation! Moora, die älteste in Niedersachsen gefundene Moorleiche - eine Sensation, ebenso, wie das Schlachtfeld am Harzhorn, diesmal das jüngste römische Schlachtfeld mitten in Germanien - eine Sensation.
Alle diese Funde und Entdeckungen sind archäologisch außerordentlich spannend und eröffnen dem interessierten Menschen neue und oft unerwartete Erkenntnisse.
Es sind aber leider nicht diese zu erwartenden Erkenntnisse, die die Öffentlichkeit -und hier vor allem die Medien- die jeweiligen Funde als Sensation wahrnehmen läßt. Nein, als Sensation gilt das jeweils Älteste, das Größte. Ohne noch so weit hergeholten Superlativ keine Sensation, die Archäologischen Entdeckungen, Fälle für das Guinness- Buch der Rekorde.
Eine Sensation wäre es wahrscheinlich, wenn der Pressepräsentation archäologischer Besonderheiten auch eine dem Gegenstand angemessene besondere Berichterstattung folgen würde. Eine Sensation wäre, wenn Archäologie auch dann ein Thema in den Medien wäre, wenn sie nicht als Sensation präsentiert würde. Stattdessen schneller Nachrichtenjournalismus, der Aktualität wegen zehnmal ab- und umgeschrieben von den Meldungen einschlägiger Agenturen, ein paar Moorleichenbilder im Abendmagazin und dann das mediale hoffen auf die nächste Sensation.
Die eigentlichen Sensationen der Archäologie werden vor diesem Hintergrund kaum wahrgenommen: die unglaubliche Entwicklung der Untersuchungs- und Erkenntnismöglichkeiten. Damit ist nicht nur die Technologische Entwicklung, also das technische Werkzeug gemeint, sondern vor allem die Herangehensweise an Untersuchungsprojekte, die Fragestellungen, die methodische Konzeption, die Interpretationsansätze, die Interdisziplinarität. Die Sensation sind nicht in erster Linie die Funde, sondern das, was sie einem bei der richtigen Fragestellung alles sagen können.

Mit investigativen Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt

Webnews

Donnerstag, 7. Mai 2009

Das große Sterben der Online-Medien

Wie die Leser den Informationsmarkt verändern

Nachdem der amerikanische Medienexperte Jeff Jarvis wie schon seit Jahren wieder einmal das große Sterben der Print-Medien, diesmal auf Spiegel-online propagiert, ist es an der Zeit, dass ich als selbsternannter Print-Guru dem selbstgebloggten und hochgefeedeten Online-Guru entschieden entgegentrete. Denn auch ich habe eine persönliche Vision und persönliche Vorlieben, aufgrund derer ich mich gerne als Experte verkaufen möchte.
Um es gleich vorweg zu nehmen, in einem Punkt bin ich mir mit Ihnen, Jeff -ich darf Sie doch so nennen, Kollege- völlig einig: niemand zahlt für Inhalte und viele Inhalte gerade im Internet sind auch keinen Cent wert. Aber das nicht etwa wegen der beliebigen online-Verfügbarkeit, sondern wegen der Werbefinanzierung aller Medien. Weder bei den Printmedien, noch beim Fernsehen -dem ersten vermeintlichen Killer der Zeitungen- noch im Internet hat der gemeine Leser jemals die Inhalte oder diejenigen, die diese Inhalte produzieren, bezahlt.
Wendet man aber den Blick von der medialen und werbewirtschaftlichen Nabelschau einmal ab und dem Leser, dem Konsumenten zu, so kann man eines feststellen. Das Internet hat die schon immer bestehenden unterschiedlichen und differenzierten Zielgruppen der verschiedenen Medien, bis heute nicht homogenisieren können, was eine zwingende Voraussetzung für das Massensterben von Printmedien wäre. Vieles, selbstverständlich auch der Printbereich, wird sich in der Medienlandschaft ändern müssen, ob mit, oder ohne Internet. Ohne Gleichschaltung der Konsumenten wird es immer jene Menschen geben, die es sich schlichtweg nicht leisten können, technologisch ständig aufzurüsten, um den online-hype zu füttern. Es wird aber auch die materiell und mental Privilegierten geben, die sich tatsächlich qualifizierte Informationen, gemütlich am Frühstückstisch im Garten konsumiert, leisten können und wollen. Und die große Masse jener, die dem medialen Boulevardbereich zuzuordnen sind, von der die online-Informationen ja vor allem leben, werden ihre Bildzeitung in der Straßenbahn auf dem Weg zur Arbeit mit Sicherheit nicht so bald durch einen Laptop oder anderes elektronische Gerät ersetzen. Da ist die Spielekonsole sicherlich wichtiger.

Bis bald in der Ihrer Zeitung

Ihr

Wolfgang Schwerdt


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Mittwoch, 6. Mai 2009

Oh Mein Gott!

Atheismus ist, wenn man trotzdem lacht

Nun sind die existenziellen Fragen dieser Welt endlich auch im krisengeschüttelten Deutschland gelandet. Werbung "gegen Gott" auf Bussen? Nein, das geht hierzulande nicht, wir werden doch unsere christliche- abendländische Kultur nicht einfach in Frage stellen lassen. Toleranz ja, Demokratie na ja, aber Gottesleugnung oder auch nur Offenhalten der Frage der Existenz Gottes - das geht dann doch zu weit. Schließlich sind wir doch Papst.
Dabei hat genau mit diesem doch alles angefangen. Kaum war der im Amt, schon startete eine christliche Missionierungsoffensive in Form einer gewaltigen Mediendiskussion um die Gottesfrage. Zahlreiche Talkshows thematisierten plötzlich das Thema "Sinn des Lebens", immer mit dem Ergebnis, dass eine menschlich moralische Existenz ohne irgendeine Form des Gottesglaubes nicht möglich sei, ja dass Leben ohne Gott sinnlos sei.
Während die Zweifler und Atheisten sehr gut ohne Gott leben können (sonst wären sie ja schon längst ausgestorben), können Gottesgläubige offensichtlich nicht leben, ohne diesen Glauben durch einen universellen Anspruch zu rechtfertigen. Es lebe der Fundamentalismus, wer nicht für (Gott) uns ist, ist gegen (Gott) uns. Dass es Menschen gibt, die die Gottesfrage zwar kulturgeschichtlich durchaus interessiert, denen eine reale Gottesexistenz aber im Grunde egal ist, und die daher auch einmal auf ihre Existenzberechtigung im Rahmen einer modernen Gesellschaft aufmerksam machen möchten, ist vor diesem Hintergrund natürlich inakzeptabel.

Ein kleiner Gedanke zur Gottesfrage sei in diesem Zusammenhang gestattet: wer braucht hier eigentlich wen? Braucht Gott eigentlich die Menschen oder brauchen einige Menschen unbedingt einen Gott? Wenn Gott keine Menschen braucht, dann dürften ihm die Atheisten wohl am Liebsten sein, die sind nicht so aufdringlich und in Fragen des Respekts gegenüber "Andersgläubigen" offensichtlich deutlich lockerer.

Mit unaufdringlichen Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt

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Dienstag, 5. Mai 2009

Auf das Schwein gekommen

Zur Schweinegrippe und anderen Bedrohungen

Es ist schon zum Schweinemelken. Da haben wir eine Krise unvorstellbaren Ausmaßes, die Finanzkrise nämlich, oder besser gesagt die Krise der Spekulationsgewinne, und immer noch ist die Bevölkerung davon nicht sonderlich beeindruckt und lebt einfach weiter. Trotz täglicher Medienberichte, hochkarätiger Wissenschaftler- und Politikerrunden, die versuchen, das Publikum von der existenziellen Bedeutung des derzeitigen Finanzwesens zu überzeugen und der Notwendigkeit, Spekulationsverluste durch internationale Geldspritzen in Billionenhöhe auszugleichen, reagiert dieses nach wie vor gelassen. Fast verzweifelt klingen daher die Nachrichten, die meist mit „ . . . trotz Finanzkrise . . .“ beginnen.
Aber nun, mit der Schweinegrippe, da ist nun endlich etwas über uns gekommen, das uns wirklich berührt, das wirklich etwas bewegt. Niemanden interessiert, dass die ganz normale Grippe, dass unsere verkannten einheimischen Influenzaerreger, Jahr für Jahr zahlreiche Todesopfer fordern. Damit wir uns für etwas interessieren, muss es offensichtlich exotisch sein und medial gehypt werden. Da spielt es keine Rolle, wie zuverlässig die Informationen –etwa über die Zahl der Todesopfer in Mexiko- sind.
Um hier nicht missverstanden zu werden: natürlich muss auf die Bedrohung eines unbekannten Erregers, der Pandemie- Potential mit ungewöhnlich hoher Mortalität hat, reagiert werden. Aber schon bei der Vogelgrippe durfte man es als irritierend empfinden, dass angesichts der ausländischen Invasoren, die Ärzte von den zuständigen Behörden darüber informiert werden mussten, wie man eine Grippe von einem stinknormalen Schnupfen unterscheidet und wie man diagnostisch und therapeutisch damit umgeht. Auch bei der Schweinegrippe ist das nun wieder der Fall, und man fragt sich gelegentlich, von wo die Bedrohung eigentlich ausgeht.
Na ja, so eine exotische Pandemiebedrohung hat auch sein Gutes. Die Ärzte erfahren mal wieder, was eine Grippe ist und die Firma, die das Grippemittel herstellt, dessen namentliche Erwähnung in kaum einem Medienbeitrag fehlen darf, verzeichnet eine Steigerung ihres Aktienkurses. Und so sieht man, dass auch eine pandemische Bedrohung und wahrscheinlich auch andere Bedrohungsszenarien finanz- und wirtschaftskrisentechnisch gesehen nicht zu verachten sind. Vor allem dann, wenn die Krise der Finanz- und Aktienspekulanten, die zugegebenermaßen dank massiver staatlicher Unterstützungen längst vorbei und in eine handfeste Wirtschaftskrise mit langfristigem Inflationspotential übergegangen ist, von der Bevölkerung einfach ignoriert wird.
Dass Bedrohungsszenarien durchaus etwas bewegen können, zeigt die Varusschlacht vor 2000 Jahren. Wünschenswert wäre, beispielsweise bei der Berichterstattung über die zahlreichen bundesweiten Jubiläumsveranstaltungen zu diesem Thema, dass auch hier ein Medienhype entstehen würde. Hier geht es um Kulturgeschichte und vor allem um Bildung, ein Wirtschaftsgut, dass letztendlich mehr zur Bewältigung von Krisen und auch Pandemien beitragen kann, als Geld. Denn Geld ohne Bildung dient nur der Finanzwirtschaft, aber nicht den Menschen. Bildung allerdings scheint, betrachtet man das Niveau so mancher Berichterstattung, kein wirkliches Epidemie- oder Pandemiepotential zu haben und ist daher wahrscheinlich einem Medienhype kaum zugänglich.

Mit epidemischen Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt

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