Mittwoch, 21. Juni 2017

Autonomes Fahren

oder der programmierte Verlust der Kompetenz

Autonomes Fahren! Neben terroristischen Anschlägen, ein wenig Brexit und dem Donald-Getrumple nimmt in den Nachrichten und TV-Magazinen aktuell das Autonome Fahren einen erstaunlich großen Raum ein. Der vordergründige Anlass, über die offensichtlich kurz vor der lukrativen Vermarktung stehende alternativlose Technologie zu berichten, ist die Diskussion einer ethisch relevanten Frage: Wie soll der Computer entscheiden, wenn es um Menschenleben geht? Ist diese Frage geklärt, so scheint es, steht einer Einführung der Technologie des autonomen Fahrens nichts mehr im Weg. Eine wichtige Frage, zweifelsohne. Bedauerlicherweise aber treten andere Fragen, die nicht nur mit dem "autonomen Fahren" verbunden sind, sondern eigentlich vor Dieser geklärt werden müssten, völlig in den Hintergrund.

Zukunftsfragen ausgeklammert

Da wäre zum Einen die Frage nach einem Gesamtkonzept eines umweltverträglichen Individualverkehrs oder als Alternative eines Gesamtkonzepts einer umwelt- und sozialverträglichen Struktur öffentlichen Verkehrs, der die Autonomie der Nutzer sichert. Die Fragen, wie in diesem Zusammenhang das Verhältnis zwischen Personen- und Wirtschaftsverkehr gestaltet werden muss oder wer die Investitionen in die Infrastruktur für die neuen, gewinnträchtigen autonomen Automobil-Produkte finanzieren soll, sollten ebenfalls zur Diskussion stehen. Und wieviel Dreck dürfen autonome Autos unter Berücksichtigung der Anwendung intelligenter Betrugssoftware in die Welt pusten? Ja, tatsächlich geht es um wesentlich mehr, als die Computerentscheidung in Bezug auf Menschenleben. Unter gesellschaftlichen Aspekten geht es in erster Linie um Demokratie, Autonomie, Sicherheit und Zukunft. Lediglich unter wirtschaftlichen Aspekten, also dem Erschließen eines Absatzmarktes für neue Produkte, steht die heiß diskutierte Frage der Entscheidung des autonomen Autos über Leben und Tod derzeit zur Diskussion.

Verkehrssicherheit versus Existenzsicherheit

Und vor diesem Hintergrund sollte sich der Bürger einmal ausführlich mit der Bedeutung und Verwendung des Begriffs Autonomie befassen. Punkt eins ist schnell geklärt, Autonomie bedeutet Selbständigkeit. Autonomes Fahren aus der Perspektive des Menschen müsste daher eigentlich heißen: Der Mensch ist (nicht nur) beim Autofahren hinsichtlich seiner Entscheidungen weitgehend autonom. Und das ist er auch, wenn er sich nicht auf autonomes Fahren einlässt. Denn heute werden Begriffe nur noch scheinbar aus der Sicht des Menschen verwendet. Das aktuell entwickelte autonome Fahren bedeutet real, dass das Fahrzeug autonom ist und dem Menschen Entscheidungen abnimmt, der Mensch seine Autonomie abgibt. Möglicherweise auch die Entscheidungen, wann er wieviel Geld für welche Wartungsmaßnahmen auszugeben hat. Denn natürlich verfügt das Fahrzeug lediglich über eine Teilautonomie, die sich in erster Linie auf Entscheidungen im Straßenverkehr bezieht. Die Entscheidungen des Besitzers beispielsweise über Werkstattbesuche (und damit über dessen Portemonnaie), kann - immer unter dem Aspekt der "Sicherheit" (wenn auch nur der Wirtschaftlichen des Produzenten) - ganz autonom der Hersteller fällen. Der hat letztendlich (und zwar schon heute!) nicht nur den permanenten Zugriff auf all die vom sensorgespickten Fahrzeug  eifrig gesammelten Daten, sondern gewissermaßen auch auf den Zündschlüssel. Wer nicht konsumiert, damit es der Autoindustrie gut geht, der ist im Zweifelsfall auch nicht mehr mobil.

Wenn plaudernde Kühlschränke das Portemonnaie plündern

Um hier nicht missverstanden zu werden, ich vertrete keines Wegs die Parole "freie Fahrt für freie Bürger" und wer mich kennt, weiß, dass ich alles andere als fortschrittsfeindlich bin. Aber ich bin auch nicht bereit, den verbal verschleierten Interessen der Wirtschaftsdiktatoren auf den Leim zu gehen. Klar, inzwischen ist die Digitalisierung und systematische Vernetzung aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken und in vielen Bereichen möchte ich die Vorteile gar nicht missen. Aber dennoch sollte auch technischer Fortschritt nicht über autonome Autos oder (auf Kosten des Verbrauchers) autonom wirtschaftende und mit der Unterhaltungselektronik plaudernde, das Raumklima regulierende (und von der Wirtschaft digital kontrollierte) Kühlschränke sondern über die Sicherstellung der Autonomie der Menschen im Rahmen einer demokratischen Gesellschaft definiert werden. Denn Autonomie hat unglaublich viel mit Demokratie, Sicherheit und Freiheit zu tun. Allein deshalb darf die Autonomie des Einzelnen nicht auf von den Herstellern kontrollierte technische Geräte übertragen und dem wirtschaftlichen Erfolg Weniger untergeordnet werden.

Autonomes Denken der Menschen ist gefragt

Selbst wenn hier unwahrscheinlicher Weise kein profitorientierter Missbrauch betrieben wird, eine Abgabe von Autonomie ist auch immer verbunden mit einem Verlust an Fähigkeiten. Was aber, wenn diese im Falle eines Systemausfalls benötigt werden?
Unsere Gesellschaft nimmt bereits seit Jahren eine merkwürdige Entwicklung. Der staatlich organisierten abhängigen Beschäftigung als Lebensinhalt der Menschen und Existenzgrundlage unseres "Deutschland geht es gut" wird, schleichend zunächst, inzwischen aber offensichtlich, der abhängige Konsument hinzugefügt. Vor diesem Hintergrund brauchen wir (derzeit) wirklich keine autonomen Autos, sondern jede Menge autonomen Denkens, das wir Menschen eben weder an unsere technischen Hilfsmittel noch an die Wirtschaft, noch an irgendwelche Bauernfänger abgeben sollten!

Mit autonomen Grüßen
Wolfgang Schwerdt

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