Dienstag, 1. März 2011

Zu Guttenberg zwischen Mythos und Märtyrer

Der heldenhafte ex-Minister und das Opfer seines Herzblutes

Zu spät meinen Viele, ist der Politiker zu Guttenberg nicht nur vom Amt des Verteidigungsministers zurückgetreten. Und nun, so die Meinung vieler seiner Getreuen, müsse Schluss mit der Diskussion um das arme Opfer medialer Verfolgung sein, als das er sich, seiner Rede nach zu urteilen, auch selbst sieht.

Selbst in seiner Rücktrittsrede kommt zu Guttenberg nicht ohne große verbale Gesten aus. So erteilt er, einem Messias gleich, seinen Gegnern beinahe die Absolution. Jenen, die ihn nach heldenhaftem Kampf nun doch zur Strecke gebracht und ihm damit sein Lieblingsspielzeug - das in seinem Herzensblut geradezu ertränkte Militär - abgerungen haben. Ganz auf sich und sein Sendungsbewusstsein fokussiert, macht sich der bislang unwidersprochen als Betrüger charakterisierte Mensch zu Guttenberg zwischen den Zeilen zum Märtyrer, ohne auch nur ansatzweise Einsicht in das der von ihm zu verantwortenden Affäre zugrundeliegende Problem zu zeigen.

Guttenberg ist „weg“, die Affäre noch längst nicht.

Wer immer die Angelegenheit nach dem viel zu späten Rücktritt des Politikers für erledigt hält, nimmt die Person zu Guttenberg viel zu wichtig und wird sicherlich zukünftig dazu beitragen, aus einem möglicherweise schlichten Betrüger einen mythisch verklärten Helden zu machen. Dabei stellen sich unabhängig von aber am Beispiel des zu Guttenberg eine Reihe gesellschaftlich außerordentlich wichtiger Fragen, die, nachdem der Zugriff der guttenbergschen Heerscharen auf Nebelbomben nun erschwert ist, endlich beantwortet werden müssen.
So ist es für die Einschätzung unseres demokratischen Status sehr wichtig, herauszufinden, wie viel kriminelle Energie beispielsweise aufzuwenden ist, um die wissenschaftlichen (aber auch die anderen demokratischen) Kontrollstrukturen außer Kraft zu setzen. Es muss ebenfalls herausgefunden werden, wie viel kriminelle Energie bei der politischen Mittäterschaft zur Strafvereitelung in einer Demokratie erforderlich ist.

Guttenberg ist kein menschliches, sondern ein demokratisches Problem

Vor allem aber gilt es zu lernen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Wie kommt es, dass offensichtlich in weiten Kreisen der Bevölkerung ebenfalls nur noch wenig Unrechtsbewusstsein vorhanden ist. Wie kommt es, dass das öffentliche Bekenntnis zu „Schummeleien“ (Abschreiben, kleiner Versicherungsbetrug, ein bisschen geistiger Diebstahl hier, eine kleine Lüge da, ein wenig Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit etc.) schon zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Zweifellos gibt die Politik für solche „Verfehlungen“ genügend Beispiele. Dies aber lediglich auf die menschliche Ebene zu schieben, bedeutet, die Demokratie nicht ernst zu nehmen.

Politische Legitimation auf dem Prüfstand

Wir haben auf der einen Seite einen massiven politischen und moralischen Einfluss einer Zeitung, die sich an die Zielgruppe der sogenannten „bildungsfernen Schichten“ wendet. Wir haben mit rund 7,5 Millionen Menschen eine erschreckend hohe Zahl von An- und Halbalphabeten. Wir haben inzwischen eine Wahlbeteiligung, aus der sich nur noch unter größter Interpretationsfreiheit eine politische Legitimation für wen auch immer ableiten lässt. Wir haben eine Politik, für die Macht und Wirtschaft vor Moral, Gesellschaft und Menschen geht. Wir haben eine handfeste demokratische Krise, die sich zu verkörpern, Herr zu Guttenberg geradezu aufgedrängt hat, vor deren Hintergrund und Ausmaß er als Person jedoch so unwichtig wie nur irgendetwas ist.

Das Zeitalter der segmentierten Gesellschaften

Der Rücktritt des Freiherrn ist dabei noch längst kein Sieg der Demokratie, wie so oft behauptet, wohl aber ein Ergebnis neuer zukunftsträchtiger technologisch-gesellschaftlicher Strukturen, die allein deshalb von demokratischen Gesellschaftsstrukturen noch weit entfernt sind, weil aus ganz unterschiedlichen, aber auch politisch zu verantwortenden Gründen, nur relativ wenig Menschen in unserer Gesellschaft faktisch daran teilhaben können. Die social networks des Internets sind dabei ein inzwischen sehr mächtiger Teil, aber eben nur ein Teil unserer in hohem Grade segmentierten Gesellschaft in der inzwischen auch die politische Klasse nur noch ein Segment darstellt. Dass dies nicht nur für Deutschland gilt, zeigt sich an den aktuellen weltweiten Ereignissen. Diese sozialen web- Netzwerke haben ein gewaltiges Demokratiepotential. Zum Instrument der Demokratie werden sie aber erst, wenn die bildungspolitischen und materiellen Voraussetzungen zur selbstbestimmten Internetteilhabe für Jedermann gelegt werden.

Mit demokratisch hoffnungsvollen Grüßen

Ihr

Wolfgang Schwerdt

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