Donnerstag, 18. Februar 2016

Deutsche Beobachtungsgabe



Erst heute ist sie mir wieder einmal aufgefallen: Die exakte Täterbeschreibung in den deutschen Medien. In einem nordhessischen Städtchen wurde eine Tankstelle überfallen, das Auto hatte laut Radiosender ein Lüneburger Kennzeichen, die beiden Täter ein ausländisches Aussehen. Ich bin stolz ein Deutscher zu sein, obwohl mir persönlich diese göttliche Gabe der präzisen Beobachtung, die seit Jahren in Form von „ausländisches, nordafrikanisches, arabisches etc. Aussehen“ durch die mediale Berichterstattung geistert, völlig abgeht. Auffällig ebenfalls, dass das inländische oder deutsche Aussehen als Täterbeschreibung wohl keine Fahndungshilfe und insofern in den Medien keiner Erwähnung wert zu sein scheint.

Ich persönlich bin leider nicht in der Lage, das Aussehen eines Menschen einer geographischen Region, einem Kontinent oder einem Land zuzuordnen. Es fällt mir bereits schwer, einen Nordhessen bäuerlichen Aussehens von einem Thüringischen Landwirt zu unterscheiden, sowohl vom Aussehen als auch von der Sprache. Beide klingen in meinen Berliner Ohren irgendwie ausländisch. Wie schön, dass es echte Deutsche Menschen gibt, denen die nationale Zuordnung nach Aussehen so leicht fällt. Aber natürlich darf ein niedersächsisches Städtchen (Lüneburger Kennzeichen!) im Bundesland Hessen durchaus als Ausland begriffen werden. Daran muss ich mich als Zugereister noch gewöhnen. Ich selbst schaue Menschen an und mich quälen sofort Fragen wie: Ist das vielleicht ein Inländer mit ausländischem Aussehen? ein Ausländer mit inländischem Aussehen? Ein Inländer mit inländischem Aussehen . . . ?

Präzision ist gefragt

Und dann schweifen meine Gedanken in Details ab. Was, wenn es sich bei den Tätern um einen hessischen Ausländer mit bayerischem Aussehen und niedersächsischen Migrationshintergrund handelt, dessen Optik eindeutig auf einen Anhänger muslimischen Glaubens nordostjemenitischer Ausprägung schließen lässt. Oder könnte es sich um Skandinavier, Russen, Amerikaner, Franzosen, Briten oder Holländer handeln? Waren es vielleicht Täter typisch irischen Aussehens, so mit Sommersprossen und knallroten Haaren, wie beispielsweise Chris de Burgh? Könnten die Täter ausländischen Aussehens vielleicht Regierungsmitglieder oder Bankmanager sein? Täter sind sie jedenfalls. Ich mag das nicht entscheiden, das überlasse ich lieber den inländisch aussehenden christlich-abendländischen Befreiungsfronten und ihrer Zusammenarbeit mit der Lügenpresse.

Deutschland, geht’s dir wirklich noch gut?

Ich selbst könnte bestenfalls Aussagen zum Teint eines Menschen und vielleicht noch gewissen Gesichtsmerkmalen machen. Na gut, asiatische Gesichtszüge sind durchaus markant – zumindest wenn es um die mongoloiden Erscheinungsformen geht. Und sicher gibt es auch zahlreiche Versionen dunkler bis schwarzer Hautfarbe, die in größerer Zahl auf dem afrikanischen, amerikanischen, australischen oder asiatischen Kontinent anzutreffen sind. Aber was hat das Aussehen mit der Staatsbürgerschaft zu tun? Oder gibt es noch andere Kriterien für die Zuordnung Inland-Ausland? Ich kenne keine. Aber ich bin sicherlich kein typischer Deutscher und ich bin Atheist. Kein Wunder, dass mir diese Fähigkeit der Zuordnung zu ethnischen, nationalen, religiösen oder kriminellen Gruppen allein nach Augenschein völlig abgeht. Schlimmer, ich persönlich glaube nicht einmal an den Fahndungsnutzen solcher Täterbeschreibungen. Aber glücklicherweise verfüge ich über ein im christlich-abendländischen Sinne inländisches Aussehen, auch wenn mein Maßstab zur Beurteilung von Menschen sich nicht aus abendländisch-religiöser Abgrenzung sondern aus den menschenrechtlichen Prinzipien unserer Verfassung der Kultur der Aufklärung und ihrer demokratischen Traditionen ableitet.

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