Hartz IV und das Weltbild der Arbeitsanstalt
„Wir haben verstanden“ tönt es immer mal wieder in der Werbung, wenn ein Unternehmen meint, seine Glaubwürdigkeit aufpolieren zu müssen. „Wir haben verstanden“, hat man auch gehört, wenn Parteien aufgrund ihres Politik- und Gesellschaftsverständnisses von den Bürgern wahltechnisch abgestraft wurden.
Empirisch gesehen ist diese Aussage meist eine bewusste oder unbewusste Lüge, denn die Praxis zeigt: es gibt immer weniger was insbesondere Politik und Wirtschaft verstanden haben. Dazu gehört in zunehmendem Maße das Prinzip einer demokratischen Gesellschaft.
Kampf dem selbständigen Prekariat
Laut „Bundesagentur für Arbeit“ nahm die Zahl der Selbständigen, die ihre Einkünfte mit Hartz IV aufstocken (müssen! Anm. d. Verf.) in den letzten Jahren zu. Große Sorge macht sich in diesem Zusammenhang vor allem das für SGB II zuständige Vorstandsmitglied der „Bundesagentur für Arbeit“, Heinrich Alt – natürlich wegen der Belastung des Haushaltes und nicht wegen der Situation von Selbständigen in unserer Republik. Den Meldungen der Medien entsprechend sieht Alt eine denkbare Lösung des Problems in der Möglichkeit, die Bezugsdauer von staatlichen Grundsicherungsleistungen für Selbständige zeitlich zu begrenzen.
Selbständig und Selbständig, der kleine Unterschied
Echte Selbständige/Freiberufler waren in unserer Republik schon immer eine gesellschaftliche Randgruppe und passen daher natürlich auch hervorragend in die Schmarotzerschublade der „Hauptsache Arbeit“ – Fundamentalisten. Die meinen mit Arbeit natürlich nicht Arbeit, sondern abhängige Beschäftigung um jeden Preis. Abhängigkeit, nicht Selbständigkeit ist der Kern aller arbeitsmarktpolitischen Bestrebungen und Gesellschaftsmodelle eines breiten Spektrums der politischen Klasse. Zu den echten Selbständigen/Freiberuflern gehören übrigens nicht Jene Gruppen, denen nicht nur steuerrechtlich besondere Privilegien eingeräumt werden, die sogenannten Kammerberufe. Rechtsanwälte, niedergelassene Ärzte, Apotheker gelten zwar als freiberufliche Selbständige, sind faktisch aber zunftmäßig organisierte Scheinselbständige öffentlich-rechtlicher Organisationen und damit gute Selbständige, deren Hartz IV-Zahl bei der angesprochenen Problemlage sicher marginal sein dürfte.
Gesellschaftliche „Geschäftsidee“ noch tragfähig?
Die schlechten Selbständigen sind all jene, die sich aus eigener Kraft mit eigenem Einsatz und vollem Risiko ohne öffentlich-rechtliche Privilegien im Markt behaupten müssen. Dazu gehören neben den vielen Gewerbetreibenden auch freie Journalisten, Berater, Autoren, also auch die im doppelten Sinne selbständigen Kopfarbeiter. Natürlich kann eine Gesellschaft solch lästige Menschen und deren gesellschaftlich so unbedeutende Tätigkeiten nicht einfach unbegrenzt aufstockend alimentieren. Und nach den zu Ende gedachten Vorstellungen Alts müssen die eben irgendwann ihre Selbständigkeit aufgeben und dem Markt der abhängig Beschäftigten beispielsweise als nützliche Putzkräfte oder profitable ehrenamtliche Altenpfleger und nicht zu vergessen, fixe Gabelstaplerfahrer zugeführt werden. "Irgendwann muss man schwarze Zahlen schreiben oder - so weh es tut - die Selbstständigkeit aufgeben. Der Steuerzahler kann nicht auf Dauer eine nicht tragfähige Geschäftsidee mitfinanzieren", zitiert „Welt-Online“ den obersten Hartz IV-Organisator. Man übertrage diese Einstellung mal hinsichtlich der Zielsetzung auf das Hartz IV- Konzept, auf Griechenland oder die "Finanzkrise" und wir wären bei der generellen Problemlösung bereits mehrere Schritte weiter.
Anstaltspolitik: Entlassung in die Scheinkriminalität
Die Schlitzohrigkeit dieses Vorschlages eröffnet sich, wenn man sich die bemängelte Entwicklung einmal genauer anschaut und die selbständigen einmal mit den unselbständigen „Problembären“ des SGB II vergleicht.
Seit vielen Jahren drängen die Mitarbeiter der Bundesanstalt ihre „Kunden“ in die Selbständigkeit. Existenzgründungsprogramme mit entsprechendem Coaching und Entwicklung von Geschäftskonzepten für auch mental Unselbständige waren jahrelang der Renner bei der Verschönerung der Arbeitslosenstatistiken. Um die „Kunden“ aus der Arbeitslosenkartei zu bekommen, war man bei der Beurteilung der Geschäftskonzepte meist recht großzügig. Selbst der Start in die Scheinselbständigkeit oder in latent kriminelle Schneeballvertriebssysteme galten als erfolgsversprechend und damit förderungswürdig. Und nun ist das passiert, was zwingend zu erwarten war: Diejenigen, die man behördlicherseits verantwortungslos in die Wüste geschickt hat, kehren zurück und erhöhen die Statistik der Aufstockerselbständigen.
Das vermeintliche Bedürfnis Selbständiger nach „Hilfsbedürftigkeit“
Es gäbe noch viel über die Selbständigenproblematik zu erzählen. Etwa, dass freie Journalisten und Künstler Anfang der 80ger zur Aufstockung der knappen Kassen der Kranken- und Rentenversicherung über die Einrichtung der Künstlersozialkasse in die gesetzliche Kranken- und Renten, nicht aber die gesetzliche Arbeitslosenversicherung verpflichtet wurden. Immerhin weiß man, dass Freiberufler in der Regel die Krankenkasse naturgemäß kaum in Anspruch nehmen, das Risiko der „Arbeitslosigkeit“ aber relativ hoch ist.
Die Aussage "Natürlich können Selbstständige theoretisch ihr Einkommen so gestalten, dass sie in der Hilfsbedürftigkeit verbleiben. . . .“ zeigt die Beschränkung der altschen Sichtweise auf die Gesellschaft. Natürlich können Aktiengesellschaften und Großkonzerne ihre Bilanzen so gestalten, dass die steuerliche Belastung deutlich reduziert wird. Und auch Herr Alt dürfte bei seiner Einkommenssteuererklärung erhebliche Gestaltungsspielräume haben. Solche Spielräume sind aber nur gegeben, wenn eine ausreichend große materielle Manövriermasse zur Verfügung steht.
Angst vor „eine Handvoll Dollar“ mehr
Weder „Ottonormalverbraucher“ noch Selbständige, die an der Existenzgrenze herumlavieren verfügen über diese Möglichkeiten. Und auch dem gemeinen aufstockenden Hartz IV-Empfänger sieht man nicht an, ob er bei seinen Einkommensangaben mögliche Schwarzerlöse vorenthalten hat. Und dass ein selbständiger Mensch alles daransetzt, um in der Hilfebedürftigkeit zu verbleiben darf getrost in die Welt der Sagen und Märchen verbannt werden. Realität ist allerdings, dass das Hartz IV-Konzept konsequent darauf ausgerichtet ist, jene, die in Hilfebedürftigkeit fallen, in Abhängigkeit zu schicken oder zu halten.
Mit freiberuflich selbständigen Grüßen
Ihr
Wolfgang Schwerdt
"Unser Geld bedingt den Kapitalismus, den Zins, die Massenarmut, die Revolte und schließlich den Bürgerkrieg, der erfahrungsgemäß mit unheimlicher Schnelligkeit zur Barbarei zurückführt. ...Wer es aber vorzieht, seinen eigenen Kopf etwas anzustrengen, statt fremde Köpfe einzuschlagen, der studiere das Geldwesen..."
AntwortenLöschenSilvio Gesell (Geld oder Krieg)
Wenn das Geld selbst fehlerhaft ist, gibt es keine wie auch immer geartete "Finanzpolitik", mit der sich der Zusammenbruch des Geldkreislaufs - und damit der gesamten Volkswirtschaft - aufhalten lässt. Das sollte sogar einem Politiker einleuchten; tut es aber nicht, denn...
"Im Grunde ist Politik nichts anderes als der Kampf zwischen den Zinsbeziehern, den Nutznießern des Geld- und Bodenmonopols, einerseits und den Werktätigen, die den Zins bezahlen müssen, andererseits."
Otto Valentin, aus "Warum alle bisherige Politik versagen musste", 1949
Daran hat sich bis heute nichts geändert, während das exakte Wissen, um absolute Marktgerechtigkeit herzustellen und damit Wirtschaftskrisen, Massenarmut und Krieg generell zu vermeiden, schon seit dem Jahr 1916 zur Verfügung steht!
"Ich glaube - und hoffe - auch, dass Politik und Wirtschaft in der Zukunft nicht mehr so wichtig sein werden wie in der Vergangenheit. Die Zeit wird kommen, wo die Mehrzahl unserer gegenwärtigen Kontroversen auf diesen Gebieten uns ebenso trivial oder bedeutungslos vorkommen werden wie die theologischen Debatten, an welche die besten Köpfe des Mittelalters ihre Kräfte verschwendeten. Politik und Wirtschaft befassen sich mit Macht und Wohlstand, und weder dem einen noch dem anderen sollte das Hauptinteresse oder gar das ausschließliche Interesse erwachsener, reifer Menschen gelten."
Sir Arthur Charles Clarke (1917 - 2008), aus "Profile der Zukunft"
Für die Überwindung der "Finanzkrise" und den eigentlichen Beginn der menschlichen Zivilisation bedarf es der "Auferstehung der Toten". Als geistig Tote sind alle Existenzen zu bezeichnen, die vor lauter Vorurteilen nicht mehr denken können. Werden Sie lebendig: http://www.deweles.de
OH WEH! .. spricht der Betroffene oder einer derjenigen, die laut den Worten eines "beliebten" deutschen Politikers als "Streichholz- und Schnürsenkelverkäufer" bezeichnet wurden (o.A.).
AntwortenLöschen"Das Grundübel in Deutschland ist die soziale Überversorgung" (Helmut Schmidt, ehem. KundesBanzler)
Ach, viel lieber würde ich auf dem "freien Arbeitsmarkt" in unserer "freien Marktwirtschaft" einen anderen Menschen seiner Arbeitsstelle berauben, indem ich mich noch kostenschonender zwangsprostituieren lasse!
Wäre ich jedoch ein Kleinaktionär wurde ich darauf bestehen, mir meine zum Lebensunterhalt notwendigen Renditen, gesetzlich versichern zu lassen!!!
Wahrer Wohlstand beruht auf Wegnahme.
Deutschland braucht mehr JVA's, um das "kriminelle" Pack besser vom Wohlstand abgrenzen zu können!
Ich vertraue auf die Sozialversorgung der deutschen JVA's...
Ich bitte um Entschuldigung, denn ich vergaß mich bei meinen Vorrednern zu bedanken. Amen.
AntwortenLöschenDem Autor des Beitrages seien hiermit mein Respekt und meine Zustimmung bekundet.