Mittwoch, 10. August 2011

Jetzt mal ehrlich Herr Lindner

Kleiner Anlass, langer Kommentar

Wieder einmal profiliert sich Christian Lindner, MdB und Generalsekretär der FDP für seine Partei mit arbeitsmarktpolitischen Vorschlägen, die - diesmal rechtzeitig zum Sommerloch - durch die Medienlandschaft plätschern. Natürlich bleibt die Meldung, dass er dafür plädiert, den Bezug von Arbeitslosengeld I für ältere Arbeitslose auf 18 Monate zu reduzieren, nicht unwidersprochen. Und natürlich ist die Empörung der Opposition und der Betroffenen wie üblich ein Ergebnis von böswilligen Missverständnissen. Denn, so Lindners Stellungnahme „zu Meldungen über ein arbeitsmarktpolitisches Reformprogramm der FDP“ vom 10. August 2011 auf seiner offiziellen Homepage, „Verbesserungen und möglicherweise zur Gegenfinanzierung notwendige Einsparungen müssen . . . immer im Zusammenhang betrachtet werden. Die FDP hat aus diesem Grund keine Kürzungsforderung.“

In Wirklichkeit nämlich will die FDP „den Aufschwung nutzen, um Arbeitslosigkeit nachhaltig weiter abzubauen. Gerade bei der insgesamt positiven Beschäftigungsentwicklung können wir uns stärker den Menschen widmen, die bisher strukturell und dauerhaft vom Arbeitsmarkt abgekoppelt sind“, sagt Lindner.

Politik nach Kassenlage und nicht nach Gesetz?

So weit so gut, betrachten wir also den Zusammenhang oder besser gesagt, die Grundlagen dieser Äußerungen. Da gibt es die Gesetzgebung zu Arbeitslosengeld I und II, jeweils verbunden mit Maßnahmen, die den Arbeitslosen – auf gesetzlicher, rechtsstaatlicher Basis – wieder in den Arbeitsmarkt integrieren sollen. Dass die FDP diese gesetzliche Vorgabe nun ebenfalls umsetzen will, ist zweifellos löblich, nein, eigentlich selbstverständlich und nun wirklich keine Nachricht wert. Dass arbeitsmarktpolitische Maßnahmen bei den Liberalen jedoch ausgerechnet dann in den Fokus ihrer Betrachtungen geraten, wenn der Aufschwung nach eigener Aussage ohnehin da ist, erscheint mental schon recht grenzwertig.

Die FDP-Liebe zu den „Entkoppelten“

Der zweite geistige Geniestreich ist dann die Argumentation, dass durch den Aufschwung auch die älteren Arbeitslosen wieder gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. In diesem Zusammenhang sind zwangsläufig jene älteren Arbeitnehmer gemeint, die ausgerechnet während des Aufschwungs aus einer Vollbeschäftigung entlassen werden, Anspruch auf ALG I und nun wegen des Aufschwungs bessere Chancen auf eine Wiedereinstellung haben. Eine Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I erscheint zumindest statistisch gesehen durchaus nachvollzierbar, schließlich darf man vor den Hintergrund der FDP-Annahmen vermuten, dass die älteren Arbeitslosen im Durchschnitt nun früher als bisher einen neuen Job finden (wahrscheinlich ergeben sich die 18 Monate aus genauesten statistischen Erhebungen). Und wenn nicht, dann handelt es sich eben um die Menschen, die die SozialFDP nun besonders ins Herz geschlossen hat, jene, „die strukturell und dauerhaft vom Arbeitsmarkt abgekoppelt sind“ und die ohnehin in die Gruppe der unqualifizierten langzeitarbeitslosen Harzt IV-Empfänger gehören (warum eigentlich 18 Monate warten?).

Die Brücke ins mentale Jenseits

Und nun wird es kompliziert, zumindest, wenn man den gesunden Menschenverstand bemüht. Denn Menschen, die bisher „strukturell und dauerhaft vom Arbeitsmarkt abgekoppelt sind“, sind objektiv auch zukünftig nicht mehr in den Arbeitsmarkt integrierbar, dafür steht der Begriff „strukturell“. Strukturell bedeutet nämlich, dass die ökonomischen, gesellschaftlichen und persönlichen Strukturen eine „dauerhafte Abkoppelung“ bestimmter Menschen vom Arbeitsmarkt – und Dank Hartz- IV auch der Gesellschaft - zur Folge haben. Niemand, der auch nur mit einem Ansatz von Realitätsbezug und Verständnis von ökonomischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen aufwarten kann, wird ernsthaft behaupten wollen, dass die Menschen, die „strukturell und dauerhaft vom Arbeitsmarkt abgekoppelt sind“, „über Teilzeitarbeit, Zeitarbeit und Minijobs eine Brücke zurück in den Arbeitsmarkt“ finden könnten.
Warum also und vor allem für wen Teilzeitarbeit, Zeitarbeit und Minijobs „breiter und attraktiver machen“?

Hartz- IV ler – die Motoren des „Aufschwungs“

Stellt man das ganze bisherige Sozialgeschwurbel der FDP mit der letzten Aussage in Zusammenhang, wird dem Betrachter mit geistiger Normalstruktur das Konzept klar: „Parallel wollen wir die Hinzuverdienstregeln für erwerbstätige Hartz-IV-Bezieher weiter verbessern. Das ist für das kommende Jahr in der Koalition verabredet.“ Klingt nett, man gönnt den arbeitenden Sozialschmarotzern ein paar Kröten mehr, könnte man denken und liegt damit gesellschaftlich betrachtet so falsch wie nur irgend möglich. Denn fassen wir einmal zusammen:
Der Aufschwung erlaubt statistisch eine Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I (für ältere Arbeitnehmer!) auf 18 Monate. Wer diesen statistisch ermittelten Zeitplan nicht einhalten kann, landet schneller als vorher bei Hartz IV. Nun bekommt er einen Billiglohn-Job, verdient also weniger als vorher. Die Einsparungen, die sich nun durch die Verkürzung der ALG I-Bezugsdauer ergeben, können nun zur Gewinnmaximierung voll in die Lohnkostensubvention der Billiganbieter einfließen, d.h. die Lohnkostenzuschüsse können erhöht, der Billiglohnsektor und seine Gewinne „breiter und attraktiver“ gemacht werden. Das wirklich geniale bei der ganzen Geschichte: Die Arbeitslosen bezahlen nach diesem Modell ihr Lohndumping auch noch selbst.
Nein, auch wenn es immer wieder anders aussieht, die Leute von der FDP wissen genau, was sie wollen und was sie sagen. Zumindest gebietet der Respekt diese Unterstellung. Lediglich die Tatsache, dass sie verzweifelt versuchen, ihren technokratischen Sozialdarwinismus verbal zu verschleiern lassen nicht nur ihre Programme, sondern auch die einzelnen Äußerungen immer wieder so peinlich und oft auch werblich-dümmlich erscheinen.

Überflüssig wie ein Kropf

Zwei Anmerkungen zum Schluss: Stünde tatsächlich ein primär sozialpolitischer Gedanke im Fokus des von Lindner formulierten FDP-Konzeptes, bedürfte es weder einer entsprechenden Verlautbarung noch einer Reduzierung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I zur öffentlichen Finanzierung der privatwirtschaftlichen Lohnkosten. Immerhin würde sich die beabsichtigte Einsparung beim Arbeitslosengeld I auch ohne Kürzung ergeben, wenn die Geschichte von den verbesserten Chancen älterer Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt aufgrund des Aufschwungs wahr wäre. Ganz offensichtlich aber traut Herr Lindner seinen eigenen Argumenten nicht – und das übrigens völlig zu Recht.
Nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Und damit der geneigte Leser nicht auf meine unmaßgeblichen Analysen zynischen Politikergeschwätzes angewiesen ist, habe ich das Download-Angebot Herrn Lindners angenommen und dem Kommentar sein Portrait – falls ihn jemand noch nicht gesehen hat – beigefügt. Und damit man sich nicht nur ein BILD von ihm machen muss, hier auch der Link zu seiner offiziellen Homepage mit weiteren interessanten Argumenten zur FDP-Politik und Informationen zu seiner Person. Immerhin ist es für eine Bewertung von Aussagen oft genug nicht nur wichtig, zu wissen, was jemand sagt, sondern auch wer es sagt.


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