Zum Gehalt politischer Rhetorik
Wenn wir unseren Guttenberg nicht gehabt hätten, wären so manche interessante Fragen möglicherweise gar nicht so deutlich aufgetaucht, wie es derzeit der Fall ist. Und auch die Tatsache, dass es inzwischen zur politischen Kultur geworden scheint, gar nicht erst zu versuchen, bestimmte Fragen zu beantworten, wird immer offensichtlicher. Und um hier jedem Missverständnis vorzubeugen: das hier wird kein weiterer Guttenberg-Kommentar, auch wenn das Beispiel des Freiherrn gerade in diesem Zusammenhang nicht immer ganz zu vermeiden ist.
Beginnen wir mit dem faszinierenden Begriff „politisches Talent“. In jeder Diskussionsrunde wird dem ehemaligen Verteidigungsminister von allen Seiten ein ungewöhnliches politisches Talent nachgesagt. Was darunter zu verstehen ist, formuliert dabei niemand. Und so darf der von diesem Attribut tief beeindruckte Bürger versuchen, selbst die Substanz dieses Begriffes zu erfassen.
Da wäre zunächst einmal Charakterstärke und Moral. Nach Feststellung der Bundeskanzlerin und bei unvoreingenommener Betrachtung des Ablaufs der Affäre, ganz ohne Zweifel kein Kriterium für politisches Talent. Solche wissenschaftlichen Attitüden – so die machtorientierte Regierungsposition - muss man natürlich von einer politischen Bewertung trennen.
Man mag mich korrigieren, aber fachliche Kompetenz (in welchem Bereich auch immer) oder reale ministeriale Leistungen sind bislang ebenfalls nicht als Begründung für das besondere politische Talent des Herrn zu Guttenberg angeführt worden. Im Gegenteil, als Politiker habe er einen akademischen Titel (der normalerweise für fachliche Kompetenz steht) nicht nötig. Als Leistungsnachweis – beispielweise bei der Militärreform – reicht bereits eine Absichtserklärung.
Das Talent des fehlerhaften Menschseins
Auf der Habenseite stehen – zumindest nach Erklärung der politischen Talentscouts – menschliche Fehler, gutes Benehmen, gute Optik, Zielstrebigkeit, Affinität zur und Gespür für Macht, das Propagieren von Ehrlichkeit (über den Grad der faktischen Ehrlichkeit darf man dann hinwegsehen) und nicht zuletzt die charismatische Wirkung auf einen großen Teil der Bevölkerung. Fachliche Kompetenz, konstruktive Sacharbeit für die Gesellschaft, Wahrnehmung gesellschaftlicher Realitäten treten hinter der öffentlichkeitswirksamen Selbstdarstellung und dem Produzieren von Worthülsen in den Hintergrund. Das gesellschaftliche Problem bei diesem sehr reduzierten Verständnis von politischem Talent ist, dass die anscheinend wesentlichen Eigenschaften, die bei genauerer Betrachtung übrig bleiben, in ganz besonderem Maße auf jene Politiker zutreffen, die sich beispielweise seit Jahrzenten als oft charismatische Alleinherrscher in gewissen Ländern gehalten haben.
Wie wär’s mit Demokratie- und Verfassungsbewusstsein als Maßstab für Talent
Es wäre daher schön, wenn der Begriff „politisches Talent“ primär wenigstens mit einer besonderen Affinität zur Demokratie und ganz bewusst mit Verzicht auf dumpfen Populismus verbunden wäre. Allein die immer noch währenden medialen Diskussionen und öffentlichen Sorgen um die Zukunft des armen, bei „menschlichen Fehlern“ ertappten ex-Ministers lassen mich vor dem Hintergrund des politischen und gesellschaftlichen Umgangs mit Millionen tatsächlich perspektivloser Hartz IV Empfänger und Aufstocker schaudern. Das hat nichts mit Sozialneid zu tun, dieser Begriff taugt in diesem Zusammenhang als beliebtes Totschlagargument nicht. Denn langsam sollte sowohl das Volk als auch die Politik sich wieder daran erinnern, dass es – zumindest nach unserer offensichtlich bei Vielen inzwischen belanglosen Verfassung - die Aufgabe der zur Zeit noch frei gewählten Politiker ist, für das Wohl der Bürger zu arbeiten und nicht umgekehrt. Letztendlich ist in einer freien Gesellschaft jener Mensch ein besonderes politisches Talent, dem es gelingt, den ihm durch die Verfassung aufgegebenen Job tatsächlich zu erfüllen. Allein die zahlreichen Verfassungsgerichtsurteile zeigen, dass solche politischen Talente inzwischen sehr rar geworden sind.
Mit besonders talentierten Grüßen
Ihr
Wolfgang Schwerdt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen