fossilistische Fragen, die
man heute nicht mehr stellt
Zugegeben, ich pflege ein etwas fossiles journalistisches
Selbstverständnis. Fragen, die seit Jahren in der politischen Berichterstattung
aufgeworfen werden – zu der ich auch das talkrundenlastige Politainment zähle -
beschäftigen mich aus meinem recht veralteten journalistischen Selbstverständnis heraus so gut
wie gar nicht. Und bestimmte Fragen stellen sich für mich weder aus politischer
Perspektive noch aus Sprachlicher.
Beginnen wir
mit der pseudopolitischen Frage, die seit der Ära Wulff die Medien unisono an
erster Stelle beschäftigt „ist das Amt durch Wulff beschädigt?“
Liebe Leser,
liebe Medien, ich kann sie diesbezüglich vollauf beruhigen: ist es nicht! Ich
habe selbst nachgeschaut, Das Bundespräsidialamt ist unbeschädigt und auch am
Schloss sind keine durch Wulff verursachten Zerstörungen sichtbar. Es gab keine
Bombenanschläge und auch Wulff neigt wohl nicht zu häuslichem Vandalismus
(davon hätte man ansonsten mit Sicherheit aus der Presse erfahren). Das Amt
steht, lediglich sein ehemaliger Chef ist durch seinen selbst verursachten
politischen Vandalismus erheblich lädiert. Die Frage nach der Beschädigung des
politischen Amtes ist hingegen recht sinnleer. Denn politisches Amt und Person
des Bundespräsidenten sind identisch. Fällt die schadhafte Person weg, gibt es
auch kein beschädigtes Amt mehr, es sei denn, der neue Amtserfüller hat
ebenfalls einen Sprung in der politischen Schüssel.
Wie konnte jemand wie Wulff eigentlich Präsident
werden?
Apropos: die
nächste Frage, die die unterhaltsame Politjournaille nun beschäftigt ist „was
kommt nach Wulff“. Als journalistisches Fossil allerdings stelle ich die jedem
öffentlichen Mainstream zuwiderlaufende Frage „was war vor Wulff oder wie
konnte es überhaupt zu Wulff kommen?“
Klar, Merkel
hat den machtpolitisch durchgesetzt. Das ist die Information, die die
hintergründig tiefeninformierten Medien dem darob total verblüfften Volke nun
schon seit Wulffs Präsidentenwahl präsentieren. Aber auch das bewusste Falschverstehen
und damit nicht beantworten von Fragen gehört heute zum medialen und
politischen Geschäft. Denn die Tatsache, dass Wulff von Merkel machtpolitisch
durchgesetzt wurde beantwortet noch gar nichts. Die Frage ist nämlich: wie kann
ein Mensch überhaupt bis in höchste Staatsämter gelangen, der
sich in seiner politischen Karriere als jemand offenbart hat, dem ein gewisses
Geltungsbedürfnis wohl wichtiger war, als die gebotene Distanz zur Wirtschaft und
die politisch-demokratischen Anforderungen an sein jeweiliges Amt. Eine Frage,
die sich spätestens seit zu Guttenberg zwingend stellt.
In der Partei ist jeder Karrierist
transparent
Nun ist es
seit Guttenberg und Wulff mentaler Mainstream, die Kampagnen gegen bestimmte
Vertreter der politischen Klasse als
unerträgliche Hetzjagden einer politisch agierenden übermächtigen Medienmacht zu
begreifen und zudem auch noch das Internet dafür verantwortlich zu machen, dass
selbst die kleinsten Fehlerchen von ansonsten moralisch durchschnittlich
menschelnden Politikern einer Telenovelawelt ausgegraben und angeprangert
werden, die ohne diese neue Medienmacht verborgen geblieben wären.
Es wäre
natürlich interessant zu erfahren, wer eigentlich solche Gerüchte streut. Zumindest
jene Menschen, die bereits einmal ernsthaft an einer Politikkarriere
geschnuppert haben, wissen, dass selbst (manchmal sogar gerade) dort, wo die
Medien nicht so genau hinschauen oder die neuen Medien sich noch gar nicht
etabliert haben (ich denke da so an meine aktuelle Wahlheimat) jeder, der sich in die Politik
begibt von der politischen Gemeinschaft und erst recht von seiner Partei genauestens
durchleuchtet wird und gerade die berühmten „Fehler“ auch ohne Medien und
Internet meist bis ins kleinste bekannt sind. Mit anderen Worten: diejenigen,
die ihre Parteifreunde aus machtpolitischen Erwägungen in Ämter hieven und
Karrieren fördern, wissen sehr genau, welche moralischen Qualitäten sie da
unterstützen.
Die Politik ist eine steuerfinanzierte
soziale Hängematte für Karrieristen
Und
spätestens seit Merkels sinngemäßer Aussage zu Guttenberg „ich habe keinen
Heiligen, sondern einen Verteidigungsminister engagiert“, sollte klar sein,
dass es eben nicht um einzelne Personen, sondern um den mentalen Zustand unserer
offiziell der Demokratie und der Verfassung verpflichteten und von uns allen
finanzierten Volksvertretung geht, die sich bei genauer Betrachtung und den
richtigen Fragen längst von ihrem eigentlichen Auftrag verabschiedet haben und
zwar immer noch (und immer mehr) vom Volk, aber ganz sicher nicht mehr für das
Volk leben. Schauen und hören wir doch einmal genauer hin, wenn die „Reformen“
der Sozialgesetzgebung von unseren Volksvertretern verteidigt werden. Die
Menschen in HartzIV, die Aufstocker und die Zeitarbeiter sind demnach die Träger der
diversen Rettungsschirme für Banken und Exportwirtschaft (und nicht zuletzt
auch der selbstverordneten krisenfesten Diäten, Entschädigungen, Besoldungen
und Alterssicherungen unserer politischen Klasse). Denn, so die gemeinsame
Aussage von CDU, SPD und FDP: Ohne HartzIV hätten wir (und hier darf das wir
als Selbstbezeichnung durchaus wörtlich genommen werden) die Krise nicht so gut
überstanden.
Elitäres Selbstverständnis ist längst zur Grundlage
der Politik geworden
Und was war
mit der Rolle der Medien als gewissenlose Menschenjäger? Wenn die Medien etwas
geschafft haben, dann zu vernebeln, dass die Politiker keine menschelnden
Unterhaltungskünstler einer Polittelenovela sind, sondern Machtinhaber,
deren Charakter, Welt- und Selbstverständnis und Verhalten sich im Zweifelsfall
in den Gesetzen und der Politik niederschlägt, die die Bevölkerung auszubaden
hat. Und daher abschließend noch einmal zur Information: Politiker werden von
uns dafür bezahlt, dass sie unsere Interessen vertreten und nicht auf
Schnäppchen angewiesen sind. Wem die immerhin von der politischen Klasse selbst festgelegten Einkommen und speziellen sozialen Sicherungssysteme nicht
ausreichen, sollte sich von vornherein beruflich anders orientieren. Und wer
mit der im Vergleich zum Durchschnittseinkommen recht hohen Gesamtalimentation
durch die Bürger nicht zurechtkommt, ist im Sinne eines demokratischen Politikverständnisses - in welchem Amt auch immer - ganz sicher fehl am Platze. Die meisten Menschen
auf deren Kosten die politische Klasse lebt, müssen jedenfalls mit deutlich
weniger und unsichererem Einkommen und höheren Belastungen auskommen. Allein
der immer öfter gezogene Einkommensvergleich der Politiker zwischen ihren Diäten
und Besoldungen und beispielweise Topmanager-Gehältern sollte uns als Arbeitgeber hinsichtlich
des Selbstverständnisses unserer Arbeitnehmer schon zu denken geben. Mir jedenfalls drängt sich ganz zart der Eindruck auf, dass da seit einiger Zeit insgesamt gehörig etwas aus dem Ruder zu laufen scheint.
Ach ja, und
noch eine letzte Frage: Wem nutzt eigentlich die aktuelle Reduktion der ganzen
Geschichte auf BILD und Wulff?
Mit fossiljournalistischen Grüßen
Ihr
Wolfgang Schwerdt